Zweite Verhandlung im Mordfall V. Tabbo

 

Ein Tag voller Überraschungen

Beobachtungen in Altenstadt, morgens und abends

Wann ist Vebronia Tabbo am 23. Mai 2013 verschwunden? Wer hat sie an diesem Vormittag noch lebend gesehen und wo war das? Das herauszufinden, war Gegenstand des ersten Teils der Vernehmungen am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den Altenstädter Baschar G. am 12. 1November 2014.Landgericht Hanau-Vorderansicht Eingang

Die Zeugen bestätigten dem Vorsitzenden Richter Grasmück, was bereits aktenkundig war: Vebronia Tabbo kam gegen 8 Uhr 25 vom Penny zum Altenstädter Kreisel, ging gegen 8 Uhr 40 zur Hanauer Landstraße und putzte im Asia Imbiss. Ein Nachbar von gegenüber hatte sie dort hinein-, nicht aber wieder hinausgehen sehen. Gegen 9 Uhr wurde sie dann aber auf der Landstraße nach Rommelhausen gesehen – an einem fast 2 km entfernt liegenden Ort nahe der Kreuzung Waldsiedlung-Oberau. Offen blieb, wie sie ihre Putzarbeit im Asia-Imbiss so schnell erledigt und den weiten Weg innerhalb so kurzer Zeit zu Fuß gegangen sein sollte. Um ca. 9 Uhr 10 wurde sie von einem Zeugen zum letzten Mal lebend gesehen.

Der eingangs befragte Polizeibeamte gab an, eine Vermisstenanzeige sei an diesem Donnerstag bei der Polizei "vielleicht gegen 17 Uhr" eingegangen. Gegen 21 Uhr sei er dann nach Altenstadt gefahren. Vor dem Haus der Tabbos habe er einen "kleinen Volksauflauf" vorgefunden, auch den Angeklagten Baschar G. habe er unter den vielen Menschen stehen gesehen. Die Tochter der Vermissten habe ihm den Sachstand ihrer Suche nach der Mutter mitgeteilt und sich auch sehr besorgt darüber geäußert, dass ihre Mutter keinen Pass, keinen Ausweis, kein Handy, aber die Krankenkarte* bei sich gehabt habe, als sie zur Arbeit gegangen sei. Die versammelten Leute hätten mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg gehalten, "im Asia-Imbiss", wo sie zuletzt geputzt habe, müsse "was Schlimmes passiert sein". Gegen 21 Uhr 45 sei er dorthin gegangen. Der Asia-Imbiss-Inhaber, ein Herr Herr G., habe ihm die Räumlichkeiten gezeigt, soweit sie zugänglich gewesen waren. Zu Protokoll habe er gegeben, er und die Familie Tabbo seien "gute Freunde". Frau Tabbo habe einen Schlüssel für das Asia. Als sein Koch am Morgen um 9 Uhr 45 den Imbiss aufgeschlossen habe, sei Frau Tabbo nicht mehr da gewesen. Sie müsse aber geputzt haben, obgleich nicht alles im Lokal sauber gewesen sei. Er selber sei erst gegen 11 Uhr in sein Lokal gekommen.

Weiter berichtete der Polizist: Ab 22 Uhr habe er begonnen, die Wohnung der Tabbos zu durchsuchen. Er habe in die meisten Schränke geschaut, beispielsweise, ob er irgendwo ein blutiges Messer, eine Person oder sonstige Spuren finden könne. Die Wohnung habe "normal" ausgeschaut; er habe nichts Ungewöhnliches entdecken können.

Nahezu alle Zeugen und Zeuginnen beschrieben Vebronia Tabbo als eine zwar manchmal "sehr laute" (aber "nie bös´") und "herzensgute" Frau, und "lieben Menschen". Sie habe sich gerne unterhalten. Sie sei offen für andere Menschen und sehr hilfsbereit gewesen. Kritik an ihrer Arbeitsweise habe sie hingenommen und danach versucht, es besser zu machen. Streit habe sie nicht gesucht. Sie habe auch nie einen Vorschuss verlangt oder über ihre finanzielle Lage gesprochen. Ab und an habe man sie nicht anfassen können, weil sie wiederkehrend wohl schlimme Schmerzen gehabt habe. - Wo? - Nicht am Oberkörper, eher im Bereich des Unterbauchs. – Nein. Blaue Flecken habe sie an Vebronia Tabbo nie gesehen.

Ein erstes Raunen ging durch das Publikum, als der Verteidiger des Angeklagten, Th. Kieseritzky, den Beweisantrag stellte, vier namentliche genannte Personen seien als Zeugen zu hören. Sie sollten den Zuschauerraum verlassen.

V. Tabbo wurde am 24. nach Mitternacht und nicht am 23. Mai 2013 ermordet –

sagt der Obduktionsbericht.

                                 Wieso wusste die Staatsanwaltschaft das nicht?

Nach dem Obduktionsbericht, so die Begründung des Anwalts, sei Vebronia Tabbo um 0:20 Uhr des 24. Mai ermordet worden – und nicht, wie es in der Anklageschrift heiße, im Laufe des Tages des 23. Mai 2013.

 

Im Zuschauerraum fragte man sich verblüfft, ob der Staatsanwaltschaft der Obduktionsbericht nicht vorlag, als sie die Anklageschrift gegen Baschar G. verfasst und rasch dafür gesorgt hatte, den jungen Mann zu inhaftieren. Wie konnte das sein?

Noch erstaunter aber waren Gericht und ZuschauerInnen, als sie hörten, was folgte. Der Angeklagte habe vom späten Nachmittag (ca. 17 Uhr) des 23. an bis nach Mitternacht am Morgen des 24. Mai, so der Verteidiger, zusammen mit acht weiteren jungen Leuten das Asia Lokal bewacht. Sie hätten geglaubt, Vebronia Tabbo müsse dort irgendwo in dem Haus festgehalten werden. Der Verteidiger beantragte, das Gericht solle vier dieser jungen Leute als Zeugen laden und hören, was sie dazu zu sagen hätten.

Dem Vorsitzenden Richter Grasmück war deutlich anzumerken, wie überrascht auch er vom Inhalt dieses Beweisantrages war. Sollten die Zeugen die Angaben der Verteidigung bestätigen, hätte der Angeklagte ein ziemlich belastbares Alibi - für die Stunden vor und für die Tatzeit selbst.

Er mochte sich fragen, wie es sein konnte, dass die Anklageschrift von einer falschen Tatzeit ausging und ihn, den Vorsitzenden Richter und die Kollegen, damit derart in die Irre führen konnte? Prozessbesucher i  Gerichtsflur 12-11-014Konnte er sich denn auf gar nichts mehr verlassen? Nun gut, vielleicht gestand er es sich in diesem Moment selbst auch ein, dass es ihm vielleicht schon vorher hätte auffallen können oder sogar müssen: Der Tenor in der Anklageschrift und die meisten der Ermittlungs­re­sultate passten einfach nicht zusammen, weshalb die Staatsanwaltschaft den Antrag der Kripo Friedberg lange Zeit abgelehnt hatte, den Ehemann und die Kinder die Familie der Ermordeten abzuhören. Dafür gab es ihrer Ansicht nach keine belastbaren Gründe, keine Fakten und begründeten Vermutungen, die diesen Eingriff in die Grundrechte der Familie hatten rechtfertigen können. Warum sie ihre Meinung später änderte, ist rätselhaft, da sich an der Fakten- und Beweislage wenig bis nichts geändert hatte. Aus den Akten ist freilich auch zu ersehen, dass die SOKO Friedberg wichtigen Spuren merkwürdigerweise gar nicht weiter nach­ge­gangen war und ist.

Vielleicht war der Vorsitzende Richter in jenen Augenblicken nur verwundert. Vielleicht aber auch voller Zorn, denn das war ganz offensichtlich mehr als ein Fehler oder Versehen der Staatsanwaltschaft. Vielleicht dachte er auch flüchtig, das muss Vorsatz gewesen sein und möglicherweise auch rassistisch motivierte Schikane gegenüber einem Eingebürgerten arabisch-syrischer Herkunft.

Konnte das sein?

Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, was der Vorsitzende Richter dachte und wir wissen nicht, was sich die Staatsanwaltschaft nach der Verhandlung von ihm hatte anhören müssen. Wir können nur hoffen, dass es den Kern des Geschehens traf, zumal es an diesem Tag ja beileibe nicht bei diesen beiden Überraschungen bleiben sollte.

Eine angesehene Familie in Altenstadt

Die Vernehmung des Besitzers des Asia-Imbisses, Herrn G., brachte zunächst nicht viel Neues. Im Prinzip wusste er nichts, verstrickte sich aber mit wachsender Nervosität, wenn nicht in Widersprüche, so doch in mehr oder minder auffällige Ungereimtheiten: Vebronia Tabbo habe in seinem Lokal nur die Böden im Verkaufsraum, in der Küche und im Lager zu putzen gehabt. Später sprach er jedoch von Zwistigkeiten, die er mit ihr gehabt habe, weil sie die Fenster, die Türen, die Tische usw. nicht sauber genug geputzt habe. Sie habe ihn ständig nach weiteren Arbeitsgelegenheiten befragt, auch für ihren Mann, Schneider von Beruf. Er habe ihr manchmal Waschmittelpakete aus Chargen beschädigter Lieferungen billiger verkauft, die er zuvor zugeklebt habe. Später korrigierte er sich und meinte, meistens habe er sie ihr geschenkt. Dass er Frau Tabbo armselige 5 € die Putzstunde zahlte, das verriet er dem Vorsitzenden Richter freilich nicht. Einer seiner Köche sei am 23. Mai um 10 Uhr 30 da gewesen. Am Nachmittag seien Verwandte von Frau Tabbo gekommen und hätten nach ihr gefragt. Er habe jedoch nicht gewusst, wo sie sei. Später seien sie wiedergekommen und hätten das ganze Haus nach ihr durchsuchen wollen. - Nein, das habe er nicht komisch gefunden. Er habe sie nach Frau Tabbo suchen lassen, habe selber aber weiter gearbeitet und Bestellungen bedient. Er habe die Familie und deren Freunde ja alle gekannt. Den Angeklagten Baschar G. habe er nachmittags auf der Straße vorbeifahren sehen, später sei auch er ins Haus gekommen. Danach hätten Suchaktionen in und um Altenstadt herum stattgefunden. An die 50 Leute hätten sich daran beteiligt. – Ja, auch er. Er sei mit einem Suchtrupp die Bahngleise Richtung Altenstadt-Höchst entlang gegangen. Man habe gedacht, sie sei vielleicht von der Bahn überfahren oder dort irgendwo ohnmächtig geworden. – Nein, wer das vorgeschlagen habe, das wisse er nicht mehr. – Nein, Vorwürfe gegen ihn habe niemand erhoben, nur in der Presse. Auch der Angeklagte habe ihn nicht verdächtigt, mit dem Verschwinden von Vebronia Tabbo etwas zu tun zu haben.

Nach seinen Mitarbeitern befragt, gab er einen weiteren Koch an und zwei Ausfahrer, einen Herrn C. und Herrn W., die gegen 11 Uhr morgens zu arbeiten begännen. Herr C. sei oft krank, ihm müsse Blut wegen seiner Niere abgenommen werden. Er fahre "normalerweise" donnerstags, wohne ganz in der Nähe des Asia und habe eine asiatisch aussehende Freundin, was er aber leugne. – Ja, der C. müsse wegen des Autotauschs mit seinem Kollegen W. regelmäßig in die Waldsiedlung. Wer wann fährt und abholt, das machten sie aber unter sich aus. Er habe zwar den Schlüssel, doch könne er nicht sagen, wer an diesem Donnerstag, den 23., das Lieferauto gefahren habe, - ja, ganz richtig, einen Fiat. Aufzeichnungen darüber, wer, wann, wie lange gefahren sei, habe er nicht. Auf die Vorhaltung hin, wie er die Gehälter der Fahrer denn berechnet habe, so ganz ohne Aufzeichnungen, sagte Herr G. zu, noch einmal in seinen Unterlagen nachschauen zu wollen. –

Ein Fahrtenbuch vielleicht? - Ja, ein Fahrtenbuch, er werde danach suchen.Das Tor zur Wahrheit-LG Hanau

Wie es komme, dass der Fiat nicht auf den Asia-Imbiss und ihn als Besitzer zugelassen worden sei, sondern auf seinen Vater, meinte Herr G., das wisse er nicht mehr. Vielleicht sei er in Urlaub gewesen und das Auto hätte sehr schnell zugelassen werden müssen. - Und andere Firmenwagen? Der Audi? Ja, der Audi. Er handele auch mit Altfahrzeugen. Deshalb könne er sich nicht alle Fahrzeuge merken, die für das Asia-Imbiss genutzt worden sind.

Im Publikum kicherten einige Leute, andere hatten inzwischen sichtlich aufgemerkt. Es war ihnen wohl neu, dass Herr G. auch mit Altautos handelte. Aber vielleicht konnte das ja u.a. erklären, warum er in Rohrbach bei Büdingen-Büches ein größeres Haus kaufen und bar bezahlen konnte, auch, woher die ebenfalls nicht geringe Summe für den Fischteich in Ortenberg stammen und wie einer seiner Brüder ein Haus in der Waldsiedlung und den gegenwärtigen Hausbau in der Stammheimer Straße in Altenstadt finan­zieren mochte. Kein Kunststück, sagte einer aus dem Publikum, wenn einer aus der Familie Bankangestellter ist wie bei denen. -

Ungefähr vor zwanzig Jahren war die Familie aus dem Kosovo nach und nach hier her gekommen und hatte (mit Hilfe einiger Altenstädter Bürger) Asyl erhalten. Damals bettelarm, sind sie heute angesehene Leute mit - allerdings - manchmal bestaunt dicken Geldbündeln in der Hand. Sie verkehren mit Mitgliedern der Altenstädter Gemeindevertretung und spenden für hiesige Sozialprojekte, wobei für ihn, so Herr G. zum Vorsitzenden Richter, V. Tabbo am Anfang eine große Rolle gespielt habe. Sie habe ihm für den Altenstädter Verein "Hand in Hand" einen Kühlschrank aus ihrem gerade aufgelösten Laden als Spende übergeben, den er auf einem Straßenfest des Vereins für seine Speisenangebote genutzt habe. Seine Festeinnahmen habe er dann dem Verein geschenkt und ihm auch den Kühlschrank übergeben.

Eine der ehemaligen Lehrerinnen wusste sogar voller Stolz zu berichten, dass die Familie G. auch der Flüchtlingsfamilie Sogamanian finanziell großzügig unter die Arme gegriffen und u.a. geholfen habe, deren Rückflugkosten zu begleichen. Auch das hatte das Ansehen der Familie G. in Altenstadt gefestigt – trotz so mancher Drohgebärden aus ihrer Mitte, die seit der Ermordung von V. Tabbo Zweiflern wie z.B. mir verschiedentlich verbal bzw. gestisch ausdrucksstark weitervermittelt wurden. Nach diesem Prozesstag erfuhr auch die Tochter der Ermordeten, welcher Art diese Drohgebärden noch sein konnten. Sie berichtete empört und sehr aufgeregt, mit seinem PKW sei ihr der Bruder des Herrn G. am Zebrastreifen** – den Blick voll auf sie gerichtet - fast über die Füße gefahren. Er habe gerade noch so gebremst.  

Zum Abschiebefall der vor mehr als vierzehn Jahren zu uns geflüchteten armenischen Familie Sogamanian muss man wissen: Er hatte 2012-2013 in der Wetterau große Aufmerksamkeit erregt und in Altenstadt erstaunlich breite Solidarität erzeugt. Als Vater Sogamanian und die zahlreichen Unterstützer der Familie der Ausländerbehörde und dem Wetteraukreis dann aber für die Zukunft gesicherte Einkünfte für die ganze Familie nachweisen konnten bzw. Verpflichtungserklärungen abgegeben hatten, durften die abgeschobene Mutter und ihre beiden Söhne aus Moskau zurückkehren. Dort waren sie durch einen staatspolitisch sehr rätselhaften Umstand während ihrer Abschiebung nach Armenien ´hängen geblieben´. Sie waren den russischen Sicherheitsbehörden entwischt und in Moskaus Emigrantenszene der Armenier untergetaucht. Dennoch kamen sie unbeschadet zurück und erhielten hier das gewünschte, behördlich abgesegnete Bleiberecht. Einen der Sogamanian-Söhne stellte der Bruder des Asia-Imbiss-Besitzers sofort danach als Fahrer in seinem damaligen Altenstädter Taxiunternehmen an. Wie man hört, ist diese Firma inzwischen in die Hände pakista­nischer Personen übergegangen – jedenfalls zum Teil.        

Die letzte Frage des Vorsitzenden Richters betraf die Angabe des Asia-Imbiss-Besitzers, der Angeklagte sei spielsüchtig gewesen und habe hohe Spielschulden angehäuft. Eine wichtige Frage, denn: Dass Baschar G. das Geld der Frau Tabbo verspielt und sie unter anderem auch deshalb umgebracht haben soll, ist laut Anklageschrift ein wesentliches Motiv für die ihm angelastete Mordtat. Jetzt stellte sich freilich heraus, Herr G. wusste von der angeblichen Spielsucht des Angeklagten und dessen angeblich hohen Spielschulden nur vom Hörensagen. Er selbst hatte weder den Angeklagten noch die Tochter der Ermordeten je in einem Spielsalon gesehen. Gleichwohl hatten er und sein Bruder ihre Behauptungen wiederholt als verbürgte Tatsachen ausgegeben. Ob das eine Hilfe der Brüder G. für die Meinungsbildung Altenstädter BürgerInnen und Funktionsträger war, ihre bohrende und so beunruhigte Frage:

Wer hat Vebronia Tabbo ermordet?

in ihrem Sinn ´richtig´ zu beantworten (und sich auf diesem Wege vielleicht selbst aus der Schusslinie zu bringen)? Denkbar wäre es, aber wer möchte ihnen das unterstellen? Es ist nur ein weiteres Gerücht. Es ist so wenig bewiesen, wie die vielen anderen, allerdings ganz überwiegend gegen die Familie Tabbo und den Freund der Tochter gerichteten falschen Tatsachenbehauptungen und Schuldverdächtigungen, die durch Altenstadt wabern. Sie werden auch von so manchem Mitglied der Gemeindevertretung verbreitet, obgleich gerade von Abgeordneten von Gemeindeparlamenten ja nun wirklich etwas anderes erwartet werden kann.    

Wer war der Mann mit dem Fiat?

Es war schon später am Nachmittag, als die Vernehmung des letzten Zeugen an diesem Tag begann.

Er berichtete, er habe Vebronia Tabbo am Donnerstag, den 23. Mai ungefähr gegen 9 Uhr 10, in der Nähe des Altenstädter Funktionshäuschens am Ende der Neubausiedlung Oberau an der Straße nach Rommelhausen gesehen. Sie habe mit einer Henkeltasche oder Beutel auf einen Mann auf dem Fahrradweg neben der Straße eingeschlagen. - Ja, er habe sie gleich erkannt, habe aber nicht gewusst, wie sie hieß. - Woran er sie erkannt habe? - Es sei ihr Gesicht gewesen, ein auffälliges, kantiges Gesicht. Gesichter könne er sich gut merken. Namen leider nicht. Das sei bei ihm schon immer so gewesen. - Im Moment des Vorbeifahrens habe er sie auch als jene Person wiedererkannt, die er einige Zeit zuvor aggressiv schreiend im REWE-Markt erlebt hatte. Und jetzt sah er sie wieder so aggressiv agieren. Im Übrigen sei sie, vielleicht vor ein oder anderthalb Jahren, regelmäßig an seinem Haus vorbei die Gartenstraße entlang gegangen – wohin? - Wohin, das wisse er nicht. Die Gartenstraße verlaufe parallel zur Eichbaumstraße in der Waldsiedlung.

Dass es sich bei dieser Person um die an diesem Tag verschwundene und später ermordet aufgefundene Vebronia Tabbo handelte, das allerdings habe er erst ein halbes Jahr Vorbereitungen 12-11-014später begriffen, an Weihnachten im Gespräch mit Freunden und seiner Familie. Zuvor sei ja das Plakat mit ihrem Bild am Rand der Straße nach Rommelhausen aufgestellt worden, und da habe es ihm schon so langsam gedämmert, aber immer noch nicht so richtig bewusst gewesen. In seinem Kopf sei die aggressive Frau, die er erlebt hatte, irgendwie nicht damit zusammengegangen, dass eben dieselbe ein Mordopfer geworden sein soll. Das habe für ihn nicht zusammengepasst. So erkläre er es sich, dass er lange beides nicht miteinander in Verbindung gebracht habe. Er könne es nicht anders beschreiben. Nach Weihnachten sei er dann ja auch zur Polizei und hätte seine Aussage gemacht. Er pflege seine sehr kranke, demente und selbstmordgefährdete Mutter. Das beanspruche ihn voll und ganz: Wenn Sie wissen, was ich damit meine, Herr Richter.  

An diesen 23. Mai im vergangenen Jahr könne er sich auch deshalb so besonders gut erinnern, weil er seine kranke Mutter zu einem besonderen neurologischen Termin nach Gießen in die Klinik habe bringen müssen, weil sie kurz zuvor versucht habe, sich umzubringen. Im Moment des Vorbeifahrens an diesen zwei Personen habe er zu ihr gesagt: "Jetzt fahren auch schon die Asiaten Fiat." Tatsächlich habe der Mann, auf den Frau Tabbo einschlug, für ihn ein irgendwie asiatisches Aussehen gehabt und es habe in der Nähe ein silbergrauer Fiat halb auf dem Fahrradweg direkt an der Zufahrt zum Oberauer-Funktionshäuschen gestanden. Sein Vorderteil habe Richtung Rommel­hausen gestanden und an der Seite habe er deutliche Kratzer und Beulen erkannt. Diesen Fiat habe er später auch vor dem Asia-Imbiss in Altenstadt stehen sehen, dann eine längere Zeit nahe der Sporthalle Waldsiedlung-Oberau links auf der Wiese neben der Straße Richtung Rommelhausen und danach dann wieder in Rommelhausen am Rande einer Nebenstraße – jetzt aber ohne Autokennzeichen. Er habe Fotos davon gemacht und sie der SOKO Friedberg zukommen lassen.

Die Fotos des Fahrzeugs erschienen auf dem Gerichtsmonitor und alle Anwesenden konnten sich davon überzeugen, dass es sich um ein silbergraues, vielleicht etwas ins grünliche schim­mernden Personenwagen der Marke Fiat handelte – und nicht, wie in den meisten Presse­organen später berichtet, um einen blauen PKW. Gut zu erkennen war auf einem der Fotos auch, dass dieser Fiat vor dem Asia-Imbiss in der Hanauer Str. stand.

PolizeiplakatNoch einmal nach dem Aussehen des Mannes befragt und mit Angaben aus seinen Vernehmungen im Februar und März 2014 konfrontiert, bekräftigte der Zeuge, ja, der Mann habe eine Kappe getragen, habe dunkle, längere Haare gehabt, eine Brille und ein "gepocktes Gesicht". Er habe ihn später auch im Asia Imbiss gesehen, den er mal mit seiner Mutter aufgesucht hatte. Da habe dieser Mann am Tresen gestanden, habe sich aber nicht gerührt und geholfen, als er mühsam versucht habe, seine Mutter im Rollstuhl durch die Eingangstür des Imbiss mit dem defekten Türstopper zu hieven. Man habe sie warten lassen und irgendwann habe der Mann gemurmelt, die kämen gleich von hinten. Ein solches Verhalten habe ihn sehr geärgert, deshalb habe er es sich auch so gut gemerkt. Als die Polizei bei ihm zu Hause war, habe sie ihm Fotos gezeigt, doch er habe niemanden als den erkannt, den er mit Vebronia Tabbo zusammen und später im Asia-Imbiss gesehen hatte. Er habe überhaupt niemanden auf diesen Fotos erkannt. Es sei wohl auch ein Bild des Angeklagten dabei gewesen, aber den habe er ja zuvor noch nie gesehen gehabt und deshalb auch nicht wiedererkennen können.    

Später habe er mal eine Essenslieferung beim Asia-Imbiss bestellt. Im Auto des Asia-Imbiss hätten zwei Ausfahrer gesessen und der, der das Essen gebracht habe, habe danach mit eben diesem für ihn, na ja, halbasiatisch aussehenden Mann mit dem "gepockten" Gesicht den Fahrerplatz getauscht. Der Lieferwagen, in dem sie saßen, sei aber nicht der Fiat gewesen. – Was "gepockt" für ihn bedeute? – Na, irgendwie so kantig und mit einem stechenden tiefen Blick. – Und was sind für Sie "längere Haare"? – Wie soll ich das beschreiben, vielleicht wie bei dem Herren hier?

 

Gelächter im Publikum. Die Haare des Herrn, auf den der Zeuge wies, standen schätzungsweise nicht mal einen Zentimeter über dem Kragen seines Hemdes. Mandantin  und Verteidiger 12-11-014Auch der Vorsitzende Richter konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, fragte dann aber eher streng, ob der Mann der Angeklagte im Raum sei. –

Nein, so der Zeuge. Der Mann, den er mit Vebronia Tabbo gesehen habe, der sitze draußen vor der Tür.

Es wurde mäuschenstill im Zuschauerraum, die Spannung war mit Händen zu greifen und auch der Vorsitzende Richter hatte Mühe, angemessen zu reagieren. So entstand eine kurze atemlose Pause - bis der Vorsitzende sich wieder gefasst hatte und anordnete, den Mann herein zu holen - und dann war es so weit. Herein kam ein kleinerer, aber vierschrötiger Mann mit frisch geschorenem Haupthaar, einem aufgedunsenem Gesicht und Silberbrille. Hilflos wirkend sah er sich im Raum um. Kaum ein Mensch unter den Zuschauern aus Altenstadt, der ihn nicht kannte, oft sogar schon lange Zeit kannte und wusste, er arbeitet als sehr schlecht bezahlter Ausfahrer für Herrn G. vom Asia-Imbiss. Es war eben jener seiner Mitarbeiter, Herr C., von dem der Asia-Imbiss-Inhaber zuvor berichtet hatte, er fahre Lieferungen gewöhnlich donnerstags aus, sei nierenkrank und könne deshalb oft nicht arbeiten.

Vebronia Tabbo war an einem Donnerstag verschwunden.

Seine Erkrankung mochte dafür verantwortlich sein, dass er körperlich dicklich geworden war und sein Gesicht aufgeschwemmt wirkte. Das dachte ich jedenfalls, denn auch ich kannte ihn selbstverständlich. Jahrelang ging er – früher oft mit seiner Mutter - unterhalb des Fensters meines Büros vorbei, Richtung Vogelsberger Straße. Meiner Erinnerung nach hatte er noch 2013 sehr viel eher dem Bild entsprochen, welches der Zeuge von ihm beschrieben hatte. Nur die Körpergröße stimmte nicht. Der Zeuge erinnerte ihn größer als er tatsächlich war und ist. Aber auch bei der Frage nach der Körpergröße der Ermordeten hatte sich der Zeuge schon verschätzt.

Der Rest war Gerichtsroutine.

Herr C. erhielt einen Dolmetscher zur Seite, wurde mit Übersetzerhilfe darüber belehrt, dass er keine Zeuge mehr sei, sondern Beschuldigter und als solcher zum dritten Prozesstag, Dienstag, den 25. November 2014, vorgeladen und vernommen werde. Als Beschuldigter werde ihm von Gerichts wegen ein Rechtsbeistand beigeordnet, sprich: ein Verteidiger.

Einen Tag nach der zweiten Verhandlung meldete sich die Tochter der Ermordeten bei der Kripo Friedberg. Sie regte an, dem Zeugen C. Zeugenschutz zu gewähren, weil er möglicherweise und u.U. gefährdet sei. Sie kenne ihn schon lange. Er sei zu krank und, so denke nicht nur sie, sondern auch andere, die ihn gut kennen, weder geistig noch mental in der Lage, einen Menschen umzubringen, schon gar nicht ihre Mutter. Die Beiden hätten sich gut gekannt und sie habe nie ein böses oder abfälliges Wort ihm gegenüber verloren.

Redaktion Altenstadt online, 23. November 2014

Der nächste Prozesstermin ist am Dienstag, den 25. November 2014, in Saal A 215 des Hanauer Landgerichts. Beginn: 9 Uhr.

 

Korrektur *: Leider ist hier ein Hörfehler unterlaufen, teilweise waren die Stimmen nur schwer zu verstehen. 

Korrektur **: Nicht am Straßenrand, wie ich schrieb, sondern auf dem Zebrastreifen, der am Altenstädter Kreisel von der Vogelsbergerstr. über die Hanauer Str. führt.