Spur von "Blood and Honour"

Altenstadt-online, 28. August 2015

und das deutsche "Auslaufmodell Asylrecht"

Altenstadt online, 21.September 2015

 

Es sind kühle Meldungen über heiße Ereignisse. Nahezu täglich. Und sie wirken täglich unerträglicher. Brandanschlag auf dieses oder jenes neu renovierte Haus. Irgendwo in der Republik. Aber immer wieder und allesamt: Unterkünfte oder geplante Wohnungen für Flüchtlinge, meist in kleinen oder sehr kleinen Orten. -
Sind die bekloppt? Das fragen sich viele Menschen. Wo sollen die Flüchtlinge denn unterkommen? Weiter in diesen fürchterlichen Zelten? Das ist doch unmenschlich. Auch in den Orten selbst beginnt jeder jedem zu misstrauen. War´s der oder der? Das fragen sich die Leute und schauen in die falsche Angebrannter Gipskopf mit Binde Foto 2Richtung, beklommen und verängstigt. Auch in Heidenau. Eine einzige Festnahme hat es während der Krawalle dort gegeben. Keine weiteren Feststellungen der Personalien der Demonstranten aus dem rechten Lager. Dabei hat es sich um eine spontane Demonstration gehandelt, deren Gewaltcharakter offensichtlich war. Wollte die Polizei gar nicht wissen, woher die Krawallisten kamen, schon gar nicht, ob es sich tatsächlich um Heidenauer BürgerInnen* handelt und um wie viele?

Unterwandert

Dass nicht eben wenige (u.a.) sächsische Polizisten mit den Rechtsextremenen und deren Fußtruppen der Fürchtewinsler vom Schlage der  "Wirhabennichtszusagen", "DörNescherkrieschtsin´nenArschgesteggt", "Dasganndochnischtrischtischsein", "DieAraberundNescherbeglauenunsundvörgwaltischenunsereGinner" sympathisieren, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Aus ihren Reihen kamen ja auch die völlig überzogenen Zahlen über die TeilnehmerInnen an den Pegida-Legida-Perfida-Demonstrationen, die von Tagespresse und öffentlich-rechtlichen Nachrichtenblocks lange - zu lange - nur zu gerne übernommen wurden.

Bis dann mal Journalisten die Angaben aus führenden Polizeikreisen Sachsens und anderswo vor Ort überprüften und der Schwindel aufflog. 

Mit Feuer und Schwert

Also sehen wir es uns mal genauer an. Festzustellen ist:. Es zieht sich eine Zeichen-Spur durchs Land. Mit Feuer und Schwert. Erst die blutige Spur des ´Schwertes´, die der NSU und andere Neonazis mit ihren Morden an zahlreichen Einwanderern und anderen ihnen nicht genehmen Menschen hinterließen

 

Jetzt die Fackelspur des Feuers.

 

"Feuer und Schwert" war der Schlachtruf der weißen Kreuzritter gegen die Orientalen, daran gilt es sich zu erinnern. Heute versteht sich das (im Übrigen verbotene, was u.a. die sächsische Polizei offenbar nicht weiß) europaweit agierende, rechtsradikal-rassistischen Netzwerk von "Blood and Honour" darauf. Also just jene Organisation, um die bislang die Geheimdienste, der Verfassungsschutz, die Bundesgeneralstaatsanwaltschaft, das BKA, aber auch das Münchner Oberlandesgericht im NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe etc. einen großen Bogen macht/e. "Blood and Honour" bietet vielen Neo-Nazis die Basis für ihre Einkünfte, nicht nur durch die Organisation und Veranstaltung rechtsradikaler Rockkonzerte. "Blood and Honour" ist das eigentliche, europaweit agierende Netzwerk der Alt- und Neonazis mit guten Kontakten auch in die USA und nach Kanada, offensichtlich auch unterstützt vom Klu-Klux-Clan in den Staaten.

Heute hier und Morgen dort

Es scheinen ein oder mehrere der blut-ehrigen Reisekader am Werk, heute hier und Morgen dort und dazwischen diverse Verkehrswege, ohne irgendwo behelligt zu werden. Dass an keinem der Brandorte - bis auf den jüngsten Anschlag in Niedersachsen und da waren es Ortsbewohner und eine Auswärtige aus Hannover (!) - verwertbare Hinweise auf die Täter gefunden wurden, spricht genau dafür. Die Täter haben kleine Orte ausgewählt. Die haben meist keine Polizeipräsenz und eben nachts ist auch kaum jemand auf der Straße, der sie beobachten könnte.

Woher können die Branstifter ihre Ortskenntnisse haben? Kein Problem. Da ist zunächst die meist örtliche oder überörtlich agierende Gruppe und/oder Kader der NPD. Die Informationen über die jeweiligen Örtlichkeiten stehen überdies im Internet; die Bau- oder Renovierungsentscheidungen der Kommunen und/oder Landkreise sind in der Regel den dort veröffentlichten Protokollen o.ä. zu entnehmen. Auch die jeweiligen Polizeikapazitäten und polizeilichen Ortspräsenzen kann jeder auf diesem Wege recherchieren. Auf einer solchen Info-Basis lassen sich Abfackeltouren auch von kleinen Reisegruppen leichtestens planen und durchführen, dabei ihr Netzwerk im Rücken. Währenddessen die Republik gebannt auf die Anschlagsorte starrt und glaubt, die Neo- und Altnazis hätten allerorten unglaublichen Zulauf und wachsende Unterstützung in der breiten Bevölkerung gefunden. Kaum jemand ist auch die Idee gekommen, dass es sich sehr viel eher um eine kleine Brandstiftertruppe handeln, die kurz ´zu Besuch´ kommt und gleich wieder verschwindet.

SZ-Karte-Spuren rechter Gewalt-BKA 2015 Der es nun aber gälte, endlich auf die Spur zu kommen.

Politische Profiteure?

So ´man´ denn will und es passt. Und genau das ist zu bezweifeln. Klar ist jedenfalls, der mitregierende Herr DeMisere und sein Tross profitieren derzeit schon vom Irrtum über die angeblich breite Spur der neuen weißen, angeblich immer zahlreicheren Kreuzritter der Schwarzhemden und der angeblich schnell wachsenden "dunklen" (O-Ton Gauck) Stimmung in der Bevölkerung. Hassmails scheinen zu unterstreichen, was behauptet wird. Alle starren mit wachsender Angst auf das Geschehen. Oh Gott oh Gott, die vielen Flüchtlinge, die vielen Anschläge, so viele Nazis und Rassisten - nach welchem Fähnlein sich drehen? Oh Gott oh Gott, was tun?

Auf dieser Folie lässt sich das Asylrecht weiter verschlechtern und ein Einwanderungsgesetz auf den St. Nimmerleinstag verschieben. Die Herren und Damen Regierenden können sich dabei auf die (angeblich) wachsende Bevölkerungsschicht berufen, die nicht bereit sei, den gegenwärtigen Rechtsstatus weiter mitzutragen und immer mehr Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren - schon gar nicht jenen, die flüchteten, weil sie zu verhungern drohten. Solche Leute seien "Wirtschaftsflüchtlinge", sagen sie in AfD-Sprech, die wolle "die Bevölkerung" schon ganz und gar nicht. Dabei verschweigen sie geflissentlich, dass z.B. die EU durch unfair liberalistische und nahezu erpresserisch erzwungene Handelsabkommen und Agrarspekulationen mit vielen der (u.a.) afrikanischen Staaten die dortigen Lebensgrundlagen zerstören und es ´hinnehmen´, dass sie damit dort weite Bevölkerungsteile dem Hungerstod preisgeben. Siehe dazu z.B. allein nur den Beitrag von A. Hagelüken "Angriff auf die Armen. Wie die internationale Finanzlobby das Verbot der Agrarspekulation verhindern will" in der Süddeutschen Zeitung vom 03. August 2015. Wäre hinzuzufügen, dass die von uns Industriestaaten heraufbeschworene und zu verantwortende Klimakatastrophe im Süden längst schon ein Überleben immer fragwürdiger macht und die Zukunftsaussichten mehr als trübe sind.  
Das scheint völlig uninteressant. Stattdessen betonen sie, der gesellschaftliche Friede (bei uns) müsse gewahrt werden. Sie, die Herren und Damen Regierenden könnten nicht gegen diese wachsenden Ängste in der deutschen Bevölkerung handeln. Das sei ihre Pflicht, sagen sie auch und gucken so ernst und streng wie selten.

Im Übrigen könnte Deutschland nicht alle Flüchtlinge aufnehmen ..........als wenn das jemals jemand gefordert hätte.

Es würde ja schon ausreichen, wenn Globalkapital und Staatenlenker der Westhemisphäre, von China und Indien, den Menschen weltweit nicht fortwährend ihre Lebensgrundlagen zerrütteten und schließlich zerstörten. Aber z.B. die Rücknahme und Neuverhandlung so vieler Handelsabkommen der EU mit (z.B.) vielen der afrikanischen Staaten, der Abzug der großen Fischereiflotten vor den Küsten Afrikas, Stopp des Landgrappings, des Waffenhandels, der Initiierung von waffengängigen Konflikten und ein Ende des Raub von Bodenschätzen (für unser aller Handy´s z.B.) könnten dafür sorgen, dass viele der Menschen nicht mehr fliehen müssten.

Doch leider ist zu bemerken, dass an eine derartige Bekämpfung der Fluchtursachen unsere ´Führenden´ ja noch nicht einmal denken. Sie zeigen sich stets nur zutiefst bestürzt über die Folgen.  Die freilich, die haben sie nicht weniger viel zu lange ignoriert. Die Flucht der Vielen kam ja nicht von heute auf Morgen; aufmerksame BeobachterInnen und LageanalystInnen haben lange schon gewarnt und gefordert, die europäische Außenwirtschaftspolitik zu ändern. Sie wurden aber nicht gehört; sie wurden vielmehr denunziert und medienwirksam abgekanzelt.   
Jetzt, da die Schreie des Kindes im tiefen Brunnen schon ersterben, jetzt zeigen sich die Damen und Herren Regierenden völlig überrascht, dass Menschen vor Hungertod, Schmutzkonkurrenz und Niederkonkurrieren aller Wirtschaftsanstrengungen (z.B. der Balkanländer oder Griechenlands), vor Bombenhagel, Folter und Verfolgung just in die Länder fliehen, die ein gerüttelt Maß Verantwortung an ihrer schlimmen Lage haben, jetzt: zeigen sie sich tief betroffen, tief bestürzt und, -

schlimmer noch, allzuviele nehmen ihnen dieses Schmierentheater ab. Vorneweg wie stets die Führungstruppe der Embedded-JournalistInnen in diversen Wirtschafts- und Politik-Ressorts des schreibenden und sendenden Journalismus. Ausnahmen bestätigen allerdings auch hier die Regel (wobei ich die gegenwärtigen vielfältigen Schwierigkeiten des Journalismus nicht unterschätzen oder gar leugnen möchte). Doch, auch sie sind nur Täuschungsopfer macchiavellistischer Regierungsmaximen, deren wichtigste wie eh und je lautet:

Spalte, lasse gegeneinander hetzen und: herrsche mit Leichtigkeit. Sorge aber dafür, dass nur diejenigen deine Methoden durchschauen, die deiner Meinung sind und ggf. selbst die Machtdurchsetzungs- und -erhaltungsanleitungen des Macchiavelli erfolgreich zu nutzen wissen.

    
Doch zurück zum Thema: Die Ähnlichkeiten zwischen den Ereignissen 1993 ff und heute sind jedenfalls bedrohlich. Die Anschläge der Nazis und deren Unterstützer mit Feuer und Schwert damals führten zur ersten fundamentalen rechtlichen Aushöhlung (nicht nur) unseres Asylrechts.

Jetzt droht dessen weitere Demontage im Kontext steten Demokratieabbaus,

anstatt (z.B.) endlich der Türkei, den Libanesen und Jordaniern mit den (lange schon versprochenen) Hilfsgeldern für die dortigen Flüchtlinge aus Syrien unter die Arme zu greifen, afrikanische und andere Staaten wirtschaftlich nicht länger zu strangulieren und legale Einwanderungswege nach Europa zu eröffnen.

Wir fordern: Schluss mit der Heuchelei. Schluss mit der instrumentellen Tolerierung und mittelbar heimlichen Protegierung der im Verborgenen EU-weit operierenden Nazitruppe "Blood and Honour".

 

Auslaufmodell Asylrecht

Es ist furchtbar zu erleben, dass die eigenen politischen Analysen und Überlegungen richtig waren - vor allem, wenn es um Asyl und Asylrecht geht. Aber wir haben ja so unsere Erfahrungen mit dem System "Merkel". Beim sog. Atomkraftwerksaus- und Wiederein- und öffentlichem Dennochausstieg, bei gleichzeitig heimlicher Blockade der Energiewende: dieselbe Methode, dasselbe Vorgehen, derselbe Heuchelwohlfühlfaktor der Fiktion für die breite Bevölkerung. Jeder und jede kann sich raussuchen, was er/sie will und sich zufrieden fühlen. Den entscheidenden Rest kriegt er/sie dann sowieso nicht mehr mit und irgendwann wundert er/sie sich. Kann es sich aber gar nicht so recht erklären, wie es nun dazu kommen konnte.

Der nun in Berlin kursierende Gesetzesentwurf zum Asylbewerberleistungsrecht ruhte - mit hoher Wahrscheinlichkeit - längst schon in den Schubladen des Innenministeriums. Niemand kann uns erzählen, dass ein Ministerium binnen einer Woche einen vollständigen und zur Ressortabstimmung reifen Gesetzesentwurf aus der Taufe heben und abstimungsreif vorlegen kann. Schon gar nicht das Bundesinnenministerium. Es ging wohl nur noch darum, Öffentlichkeit und Bevölkerung dieses neue Unterhaltsrecht für Flüchtlinge als absolut notwendig und unabwendbar verkaufen zu können. Dazu brauchte es Merkels Intervention in Ungarn, die weltweit so positiv bestaunte Öffnung der deutschen Grenzen und Merkels "wir schaffen das". Na klar. Was "wir schaffen", dieses "das" hat sie nicht erläutert und alle assoziierten: Versorgung, Unterbringung und Integration der Flüchtlinge. Weit gefehlt. Das hat Frau Merkel weder angedeutet, noch explizit gesagt. Ihr breites Lächeln dürfte eher dem Gedanken gegolten haben, wie erfolgreich ihre Methode, die Methode "Merkel", doch ist und wie leicht sich mehr oder minder alle hinters Licht führen lassen (dank auch der guten Demoskopie- und Wortprägungsarbeit der MitarbeiterInnen ihrer Entourage).

Ein direkter Zusammenhang ist sicherlich nicht gegeben. Es lässt sich aber begründet sagen: Ohne die permanente (und penetrante) Berichterstattung über die sog. Flüchtlingsströme, diese jetzt schon Millionenflut über unsere Grenzen, und die fortgeführten Abfackeleien neu hergerichteter Flüchtlingshäuser seitens nur ausnahmsweise ermittelbarer Täter wäre ein solches ´Auslaufmodell Asylrecht´ weder gesellschaftlich noch politisch durchsetzbar.

Fremden(konzentrations)lager

Sollte dieses Gesetz geltendes Recht werden, sollen Abzuschiebende in Haft genommen werden. Es werden bei uns also so etwas wie Abschiebehaftlager entstehen. Das ist ein in sich logischer Schritt. Oder wer meint da allen Ernstes, die Massen solcher Flüchtlingen wären nur im Flughafenknast unterzubringen? Zynisch, aber nicht weniger analytisch begründet ist dabei der Gedanke an diverse Gründe für die derzeit so stark wie seit 1945 nicht mehr blühende Traditionsseeligkeit hier zu Lande. Oder einfach ausgedrückt: mit ´Lagern´ haben wir ja so unsere direkten oder indirekten Erfahrungen - Erfahrungen, die viele Deutsche einst mit (z.B.) den ungarischen Pfeilkreuzlern einvernehmlich teilten.   

Geduldete: Kein Geld und keine Wohnung mehr

Vorgesehen ist auch, den Geduldeten alle Hilfen zum Lebensunterhalt zu streichen. Um wie viele Menschen es sich dabei handelt, ist unbekannt. Schätzungen gehen von mehr als Hunderttausend aus. Darunter sind nicht nur viele Afghanen, Iraker, Iraner, Sikks aus Indien, Bangladeschi, Pakisaner und Afrikaner aus vielen Diktaturen in Asien und auf dem südlichen Kontinent. Es sind auch viele Roma und Sinti, die im Balkankrieg ganz besonders drangsaliert worden sind. Nach ihrer Flucht zu uns mussten sie alle lange in Flüchtlingshäusern ausharren - ohne Arbeitserlaubnis und Möglichkeiten, deutsch zu lernen oder sich irgend sonstwie integrieren zu können. Auch ihre fachberuflichen Qualifikationen wurden regelhaft nicht anerkannt. Sie verkümmerten und an Fortbildung war erst gar nicht zu denken. Als sie endlich arbeiten durften, behalfen sich viele später mit Arbeiten im Reinigungsgeschäft oder anderen ungelernten, meist sehr schweren Arbeiten. Heute sind viele von ihnen gesundheitlich teils oder völlig ruiniert.

Jetzt verlangt dieser Gesetzesentwurf von ihnen, dass sie ihren Lebensunterhalt vollständig selbst bestreiten müssen - nicht mehr nur überwiegend. Die sog. humanitären Gründe sollen nicht mehr gelten, um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen. Natürlich wissen die Urheber des Entwurfs, wissen die meisten PolitikerInnen, dass alle diese Leute auf dem Arbeitsmarkt immer seltener Fertigkeiten/Fähigkeiten anzubieten haben, die für die Wirtschaft irgendeinen Wert haben und ausreichend, wenn überhaupt, bezahlt werden würden oder könnten. Es sei denn, sie böten Kongressbesuchern aus höheren Etagen von Wirtschaft und Politik die - durchaus auch abscheulichen*' - Sexdienste an, die da so gewünscht werden.

Angst bis zur StarreSkulptur im Gestnge - Stdel

Unter den vielen Flüchtlingen, die seit vielen Jahren hier leben, geht die Angst um. Viele sind vor Angst fast gelähmt und fühlen sich zu nichts mehr fähig. Sie weinen in sich hinein oder sind schon ganz verstummt. Sie wissen nicht, was tun. Das Unheil rückt von Tag zu Tag näher. Entweder haben sie keine Papiere oder sie müssten in ihr Geburtsland in Verhältnisse zurück, die sich auch heute nicht wesentlich von damals unterscheiden. Nach wie vor herrschen dort Krieg und/oder religiöse, politische oder gesellschaftliche Verfolgung, die hier aber nicht als Asylgründe galten/gelten. Nicht wenige der damals jungen Flüchtlinge haben Deutsche geheiratet und kein Asylverfahren durchlaufen. Viele dieser Ehen sind mittlerweile geschieden, die Kinder aufgezogen - und nun sitzen sie als Geduldete da. Keine Arbeit, kein gesicherter Aufenthalt, keine Existenzgrundlage. Sie klammern sich jetzt an den Gedanken, dass der deutsche Staat Familien schützt und nicht auseinanderreißt. Doch weit gefehlt. Das bestehende Asyl- und Ausländerrecht ist da ganz anderer Meinung und die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowieso. Das deutsche Recht schützt nur deutsche Familien, wenn überhaupt. Merke, wirklich geschützt ist bei uns immer nur die Fassade: Potemkin erhielt in Deutschland schon zu seinen Lebzeiten ein Aufenthaltsrecht auf Dauer.    

Es ist also keine Kunst zu prophezeien: Geduldete, die kein oder nicht genug Geld verdienen, werden alsbald auch ihre Wohnung verlieren. Sie werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit obdachlos. Das liegt auf der Hand. Dann fragt sich die besorgte deutsche Öffentlichkeit - immer die Humanität im Auge - wohin mit diesen Menschen? Die Not ist groß. Es muss etwas geschehen. Was soll das Ausland (die Nachbarn) nur von uns denken. Da liegt es nahe, auch sie in (diese) Lager zu sperren, damit sie wenigstens ein Dach über dem Kopf haben, also halbwegs menschenwürdig untergebracht sind. Für Presse und Freie Meinungsäußerung kommt wiederum Potemkin zum Einsatz. Die ehrlich besorgte deutsche Öffentlichkeit muss beruhigt werden (Dabei gilt: Unzumutbare Vorkommnisse werden nicht verschwiegen. Es wird vielmehr ihr der Not geschuldete Ausnahmecharakter hervorgehoben und auf die intensiven politischen Bemühungen verwiesen, die Mängel zu mildern oder ganz zu beseitigen. Der soziale Friede muss unter allen Umständen bewahrt werden).

 

Der Gesetzesentwurf enthält noch viel mehr, worauf wir hier nicht weiter eingehen wollen. Wenn Sie sich weiter kundig machen wollen, empfehlen wir die folgenden Links:       

http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/neuer_gesetzhinters entwurf_abschottung_abschreckung_und_obdachlosigkeit/ (KurzURL: http://tinyurl.com/q4oacn6)(mit Gesetzesentwurf) ein Kommentar in der SZ: http://www.sueddeutsche.de/politik/gesetzentwurf-wegen-fluechtlingskrise-regierung-plant-verschaerfung-des-asylrechts-1.2652770 (KurzURL: http://tinyurl.com/nkdbvrc

Altenstadt-online 21.09.2015

 

*Nachtrag zu Spur...: Mittlerweile ist bekannt, dass in diesem Städtchen überproportional viele Russlanddeutsche eine neue Heimat gefunden haben. Diese Bevölkerungsgruppe scheint eine besonders große Angst zu quälen, zu kurz zu kommen und hinter den jetzt ins Land kommenden Flüchtlingen zurück stehen zu müssen. Aus zahlreichen aktuellen Rundfunkinterviews mit Russlanddeutschen vor Ort ging hervor, wie stark gerade sie von Neidgefühlen und daraus erwachsendem Hass gebeutelt werden. Nazis haben da leichtes Spiel, zumal nicht eben wenige Russlanddeutsche immer noch in den sehr nationalistischen, rassistischen und homophen Gedankenwelten herumkreiseln, die sie aus Russland mitbrachten und dort über viele Jahrzehnte hinweg konserviert hatten. Insbesondere ihre Befürchtung, die Deutschen könnten aussterben, weil die Muslime zu viele Kinder kriegen und irgendwann die Mehrheit im Lande stellen könnten, beutelt sie sehr - so absurd das auch immer erscheinen mag. Auch viele der Ruslanddeutschen sind traumatisiert hierher gekommen, doch entsprechende Hilfe geboten und sich darum gekümmert hat sich das deutsche Gemeinwesen nicht. Die Problematik ist vor der Jahrtausendwende schlicht nicht erkannt worden und jetzt fällt sie uns - sozusagen - auf die Füße.  

*' Fußnote zu "Auslaufmodell...":

Zyniker weisen - freilich auch sie nur hinter vorgehaltener Hand - darauf hin, dass z.B. körperlich Behinderte, insbesondere Traumatisierte, oder chronische Kranke jeglichen Alters und egal welchen Geschlechts damit gute Chancen hätten. Geld zu verdienen. Auch solcher Sex würde schließlich nachgefragt.  

 

Feinstaub in allen Poren

Heute, Mittwoch, den 4. März, meldet feelgreen.de und in dessen Schlepptau dpa, dass nach Berichten der europäischen Umweltagentur die Feinstaubbelastung so ungeheuer viele Todesopfer in Europa fordert. Und mitten darin liegt Altenstadt, liegt unweit davon das Kohlekraftwerk Staudinger und kehren wir AltenstädterInnen - besonders seitdem Staudinger Block 5 wieder angefahren worden ist (Kohlekraftwerksblock) - den Grob- und Feinstaub täglich schippensichtbar aus unseren ´Hütten´. Es ist ein besonders gefährlicher Feinstaub, da an ihm Quecksilbermoleküle haften. Quecksilber (Hg) ist bekanntlich eines der nervengiftigsten Stoffe, die die Menschheit (neben Uran, Öl, Arsen und Blei) aus der Erde geholt hat. Verantwortlich für die große Belastung mit mehr oder minder giftigem Feinstaub ist natürlich auch der Verkehr zu Land, in der Luft und auf dem Meer, und alles, was aus anderen Düsen an Kleinstpartikeln quellen.  Da ist aber auch der Schornstein der NachbarInnen, die einfach nicht damit aufhören können, sich gemütlich am Kamin vom Stress des täglichen (und immer längeren) Arbeitstages zu entspannen. Fleißig beschichten sie ihre Kamine mit (Hg-)Kohle und Holz, legen die Beine hoch - und draußen? Draußen rieseln die feinsten Rußpartikel hernieder, vermischen sich mit den PAK, den polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen aus den Auspuffen ihrer (immer dickeren, immer größeren und immer leistungstärkeren) PKW und wehen durch die Fenster wieder rein, betreiben sozusagen Kohle-, Öl- und Holzrecycling der anderen Art.

Da müssen wir uns nicht wundern, wenn den(selben) Mama´s die Nerven reißen, die(selben) Pappa´s durch die Gegend brüllen, dass die Wände nur so wackeln und die Kinder lustlos maulen und sich in der Schule wie zu Hause irgendwie so unverständlich begriffsstutzig zeigen.

Na und? Staudinger, der Verkehr, die Heizung und natürlich, nicht zu vergessen, der viele, viele Sand aus der Sahara machen´s möglich, möchten wir AltenstädterInnen da mehr oder weniger spöttisch gemeint sagen - wenn, ja, wenn die Sache bloß nicht so ernst wäre. 

Es sind ja nicht nur Hunderttausende Europäer, die jährlich durch Feinstaub sterben. Es sind so viele, die erkranken, die arbeitsunfähig werden, nicht mehr lernen können, mehr und mehr nur noch durch die Welt tappen und schließlich dement werden. Vom Husten, den schlimmen Atermwegs- und Herzerkrankungen durch Feinstaub will ich gar nicht erst reden.
Aber ist ja auch egal - Hauptsache, ein paar Männer, ein paar Frauen, haben einen Job z.B. bei Staudinger, alle können Auto fahren, fliegen, wohin sie wollen, heizen, was sie wollen, und den Aktionären, also der Wirtschaft, geht es zufrieden stellend - nicht wahr?

Da ist es doch völlig egal, ob alle anderen leiden und viele, viele: Menschen, Tiere und alles, was kreucht und fleucht, erst erkranken, dann irgendwann dahin vegetieren und schließlich elendig krepieren. Wir haben ja schließlich eines der besten Gesundheitssystem der Welt - nicht wahr?

Es bringt Geld, alles das bringt Geld, und deshalb ist es hinzunehmen, sagt die Politik, sagen die Konzerne, Manager und Lobbyisten, sagen Toxikologen und RechtsmedizinerInnen und die (meisten) Medien und alle anderen mit ihnen beten es nach: Herr, der du uns den Feinstaub schickst, schicke uns auch die Arbeitsplätze und Besen, ihn wegzukehren und die MedizinerInnen, uns zu versorgen und sanft in den Tod zu geleiten, Herr, erbarme dich unser - . 

Das finden Sie zynisch formuliert? Wie zynisch ist dann aber erst, frage ich Sie, die Realität?

 

04.03.2015, 06:57 Uhr –

Quelle: http://www.feelgreen.de/feinstaub-toetet-jaehrlich-knapp-eine-halbe-million-europaeer/id_73132364/index

"Die Feinstaubbelastung in Europa ist nach wie vor auf einem bedenklich hohen Niveau.

Luftverschmutzung und Lärm kosten jährlich knapp einer halber Million Menschen in Europa das Leben. Das geht aus einem Bericht der Europäischen Umweltagentur hervor. Vor allem in städtischen Gebieten sorgten diese Fak­toren demnach für "ernsthafte Gesundheitsprobleme".

Allein durch Feinstaub sterben rund 430.000 Europäer pro Jahr. Lärm sei die Todesursache bei mindestens 10.000 EU-Bürgern, die vorzeitig an Herz­er­kran­kungen und Herzinfarkten sterben. Daneben führe der steigende Ein­satz von Chemikalien in vielen Produkten zudem zu mehr Hormonstörungen, heißt es in dem in Brüssel veröffentlichten Report. Feinstaubbelastungskarte UBA-001

Das sind die dreckigsten Orte Deutschlands

Die schmutzigsten Städte Europas

Zuhause.de: Feinstaub – Kaminöfen oft sogar schlimmer als der Verkehr

Artensterben in Australien - Forscher schlagen Alarm

Trotz Maßnahmen wie Fahrverboten oder Auflagen für die Industrie sieht die Umweltagentur keinen Anlass für Entwarnung: Der Klimawandel werde das Gesundheitsproblem noch verschärfen. Der Bericht fordert von der Politik wirkungsvollere Maßnahmen und Investitionen, ohne konkrete Schritte zu nennen. Er soll als Grundlage für die EU-Umweltpolitik bis zum Jahr 2020 dienen.

Weltweit sterben mehrere Millionen jährlich durch Luftverschmutzung

Die Zahlen zum Feinstaub stammen aus dem Jahr 2011. "Sie sind seitdem aber auf ähnlichem Niveau geblieben", versicherte ein Sprecher der Um­weltagentur. Feinstaub wird in erster Linie durch den Menschen erzeugt, etwa durch Öfen, Motoren, Landwirtschaft, Industrie. Ozon sorge zudem für 16.000 vorzeitige Todesfälle in Europa pro Jahr. "Die Luftverschmutzung ist immer noch hoch in Europa und führt zu hohen Kosten", sagte der Chef der Umweltagentur Hans Bruyninckx.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Luftverschmutzung weltweit das größte Umweltrisiko für die menschliche Gesundheit und verursacht Schlaganfälle, Herzerkrankungen und chronische Lungenkrankheiten. Die WHO beziffert die Zahl der Toten infolge von schmutziger Luft auf weltweit sieben Millionen Menschen jährlich.

PM10 steht für Feinstaub. (Quelle: Umweltbundesamt). Obwohl in Deutschland insgesamt die Feinstaubbelastung* sinkt, gibt es auch hierzulande zahlreiche Orte, an denen regelmäßig der Feinstaubgrenzwert der WHO überschritten wird. Dieser liegt bei 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Am häufigsten ist das in Stuttgart der Fall, wie Auswertungen des Umweltbundesamts belegen.

Europa wird nach Ansicht der Umweltagentur seine langfristigen Ziele bei der Senkung der Treibhausgas-Emissionen nicht erreichen. Dagegen lobt der alle fünf Jahre erstellte Bericht Fortschritte bei der Wasserqualität und der Reduzierung von Müll. "Europa steht unabhängig von den Fortschritten immer noch vor großen Herausforderungen", erklärte Bruyninckx.

Artensterben: Diese Tiere sind bedroht

Der Untersuchung zufolge wird die EU ihr gestecktes Ziel verpassen, bis 2020 das Artensterben zu stoppen. "Die biologische Vielfalt nimmt immer weiter ab", heißt es darin, Europa sei nicht auf Kurs. Besonders gefährdet seien Arten in den Meeren und Küstenregionen. Eigentlich wollte die EU das Ziel zum Schutz der Artenvielfalt schon 2010 erreichen, es wurde aber verschoben. EU-Umweltkommissar Karmenu Vella kündigte an, bis Jahresende Vor­schlä­ge für den Erhalt der biologischen Vielfalt vorzulegen.

Nach Angaben der Umweltschutzorganisation WWF gehören zu den bedroh­ten Arten in Europa der Iberische Luchs, diverse Amphibien wie die Rot­bauchunke, aber auch Gänsegeier und Kegelrobbe. Vor allem auf den Äckern litten Vögel unter der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung.

Laut der Roten Liste seien in Europa derzeit 45 Prozent aller Agrar-Vo­gel­ar­ten im Bestand gefährdet, darunter Rebhuhn und der Singvogel Ortolan. Als Gründe für das Artensterben gelten Agrar- Monokulturen, die Natur­zer­stö­rung für Gewerbegebiete oder Straßen, das Abholzen von Wäldern, Über­düngung und Überfischung. Die Grünen im EU-Parlament forderten, den Bio­landbau zu stärken. Bisher werden nur sechs Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen in der EU für Biolandbau verwendet."

 

* Diese Behauptung mag beruhigend wirken, ist aber leider unzutreffend.
 

Präsentiert von Altenstadt-online 4. März 2015

 

 

16. September 2014:

 

Gegen antidemokratische Muskelspiele der rot-grün-gelben Koalition des Wetteraukreises

protestieren Dr. Werner Neumann (BUND e.V. Altenstadt) und Dr. Angela Vogel (Altenstädter Freundeskreis für Flüchtlinge e.V.) in ihrem Offenen Brief an die Parteien des Wetteraukreises. Die Koalition wird aufgefordert, ihren unveröffentlichten Antrag an den Kreistag zurückzuziehen, der die Hürden für die Gewährung des Fraktionsstatus einer Partei/Wählergemeinschaft (unzulässig) erhöhen möchte.

Altenstadt-online dokumentiert das Schreiben.

Offener Brief an die rot-grün-gelbe Koalition im Wetteraukreis

 

Stellungnahme und Kommentar zur geplanten Änderung der Geschäftsordnung des Kreistags des Wetteraukreises.

Die SPD-FDP-GRÜNEN –Koalition plant eine weitgehende Änderung der Geschäftsordnung. Neben einer Verkleinerung der Zahl der Abgeordneten soll die Regelung für Fraktionen geändert werden.

Derzeit erhalten Parteien oder Wählergruppen ohne Beschränkung der Personenzahl den Fraktionsstatus oder 5 Kreistagsabgeordnete können sich zu einer Fraktion zusammenschließen (Gesch.ordung 2007)

http://www.wetteraukreis.de/fileadmin/user_upload/media/imperia/md/content/politik/kreistag/haupt_finanz_personal_und_gleichstellungsausschuss/2012/GOKT_2007.pdf

Das soll sich nach dem Willen der rot-grün-gelben Koalition des Wetteraukreises ändern - zu Lasten der kleineren Parteien. In Zukunft müssen kleinere Parteien mindestenst drei Abgeordnete im Kreistag haben, um eine Fraktion bilden zu können. Der Zusammenschluss von mindestens fünf Abgeordneten unter­schiedlicher Parteien zu einer Fraktion wird auch nicht mehr erlaubt sein, es sei denn, jede dieser Parteien hat drei Abgeordnete in den Kreistag entsenden können.

Der Fraktionsstatus ist überaus wichtig für die parlamentarische Arbeit von Abgeordneten. Nur Parteien mit Fraktionsstatus erhalten ihre politische Parlamentsarbeit vergütet. Nur Parteien mit Fraktionsstatus dürfen ihre Abgeordneten in die Parlamentsausschüsse schicken. Nur diese sind berechtigt, sich zu Wort zu melden, Vorschläge und Anträge einzubringen. Abgeordnete ohne Fraktion sind lediglich Gäste in den Auschüssen - ohne irgendwelche Rechte, die die Abgeordneten der Parteien mit Fraktionsstatus haben. Sie dürfen nur stumm zuhören - und das war´s.

Wer weiß, dass die Abgeordneten in den Parlamentsausschüssen oft die eigentlich entscheidende polit­ische Arbeit leisten und im Kreistag selbst nur noch über die in den Ausschüssen vorbereiteten Vorschläge abgestimmt wird, der weiß, was diese Änderungsabsichten der derzeit regierenden rot-grün-gelben Koali­ti­on im Wetteraukreis tatsächlich bedeuten werden: Es soll der einzigen verbliebenen aktiven und sehr fleißigen Opposition jegliche parlamentarische Kontrolle und alle politischen Möglichkeiten zu aktiver und effektiver Mitarbeit/Gegenrede/Einflussnahme genommen werden. Sie soll offenbar zum Schweigen verurteilt werden.

Was die Kreistagskoalition hier plant, ist ein tiefer grundsätzlicher Einschnitt in die parlamentarischen Rechte der Ver­treterInnen kleinerer Wählergruppen.

Demokratie in der Wetterau ade?

Die rot-grün-gelbe Koalition scheint genau zu wissen, was ihr Antrag bedeutet und wie ihn jeder und jede BürgerIn im Wetteraukreis verstehen wird, wenn er oder sie diesen Antrag denn kennen würde. Deshalb wohl ist dieser Antrag zur Mindestabgeordnetenanzahl zur Fraktionsbildung vom 1.6.2014 im Ratsin­for­mationssystem des Wetteraukreises auch nicht aufzufinden. Der Antrag ist hier nicht hinterlegt. Den Text hält man geheim. Man gibt nur bekannt, der "Antrag" sei in den Ausschuss verwiesen worden. Das heißt, die BürgerInnen werden nicht informiert, um was es sich bei diesem "Antrag" eigentlich handelt.

Schon allein diese Vorgehensweise spricht für sich. Auch sie schränkt die demokratischen Informa­tions­rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der BürgerInnen so ein, dass sie real gar nicht mehr genutzt werden können.

Wie ist nun aber dieser auf Aushebelung demokratischer Rechte ausgelegt Antrag rechtlich und wie ist er politisch zu beurteilen?

Rechtlich beruht die Geschäftsordnung auch der Kreistagsgeschäftsordnung des Wetteraukreises auf § 26a der hessischen Kreistagsordnung sowie § 60 der Hessischen Gemeindeordnung - HGO.

Es heißt in § 26a Fraktionen-

(1) Kreistagsabgeordnete können sich zu einer Fraktion zusammenschließen. Eine Fraktion kann Kreistagsabgeordnete, die keiner Fraktion angehören, als Hospitanten aufnehmen. Das Nähere über die Bildung einer Fraktion, die Fraktionsstärke, ihre Rechte und Pflichten innerhalb des Kreistags sind in der Geschäftsordnung zu regeln. Eine Fraktion muss aus mindestens zwei Kreis­tags­ab­ge­ord­neten bestehen.

Dies bedeutet, dass logischerweise eine Fraktion = ein Zusammenschluss aus mindestens zwei Abge­ordneten ist. Frage ist, inwieweit die Geschäftsordnung, wie nun im Wetteraukreis vorgesehen, über „das Nähere“ zur „Bildung“ einer Fraktion auch die Mindestanzahl auf drei oder mehr Abgeordnete erhöhen kann. Diese Regelung der Erhöhung der Mindestanzahl bedeutet nämlich eine Einschränkung des ersten Satzes von § 26a (1) und noch mehr von § 26 a Satz 4. Hier ist klar und unmissverständlich geregelt, dass eine Fraktion aus mindestens zwei Kreistagsabgeordneten bestehen muss. Unter zwei Abgeordneten geht es also nicht. Das scheint nun den Gedanken nahe zu legen, dass man die Mindestsstärke einer Frak­tion umgekehrt höher schrauben könnte, beispielsweise - wie hier ausgeklügelt - auf drei.

Das ist jedoch ein Irrtum. Es widerspricht Satz 1 und Satz 4 , nach denen sich zwei Kreistagsabgeordnete zu einer Fraktion zusammenschließen können – beziehungsweise, und das ist der Sinn dieser rechtlichen Formulierung: sich auch zusammenschließen können müssen.

Daraus folgt: Die von SPD-FDP-GRÜNEN beabsichtigte Regelung der Geschäftsordnung der Dreier­vor­aussetzung zur Fraktionsbildung steht in klarem Widerspruch zur Hessischen Kreistagsordnung.

Politisch ist diese Regelung ohnehin abzulehnen. Sie schränkt die Möglichkeiten der parlamentarischen De­mo­kratie unnötig ein, beschränkt die Möglichkeiten der Einbringung von Anträgen und deren Behand­lung in Ausschüssen auf die größeren und großen Parteien ein.

Die beabsichtigte Regelung der Wetterauer Koalition führt also zu einer Bevorzugung großer Parteien bzw. der jeweils regierenden Koalition und, sie schafft Abgeordnete erster und zweiter Klasse. Die parla­men­tarische Arbeit, und damit grundlegend die Rechte der kleineren Parteien oder Wahlgruppen, die sich in der Opposition befinden, werden erheblich behindert, bzw. s.o., sie wird unmöglich gemacht. Zudem ist oh­nehin der personelle und finanzielle Aufwand für Parteien mit weniger Abgeordneten relativ höher als bei großen Fraktionen. Sicherlich ist es wahr, dass sich die Zahl der WählerInnen auch in der Zahl ihrer Abgeordneten ausdrückt, die dann im Kreistag vertreten sind. Das darf aber nicht dazu führen, dass ihnen aufgrund ihrer geringeren Anzahl von Abgeordneten mangels Fraktionsstatus die grund­le­genden Ab­ge­ordnetenrechte wie z.B. die aktive Vertretung in Ausschüssen, entzogen werden. Die HGO hat schließlich die 5% Klausel abgeschafft. Das drückt aus, dass auch Parteien mit geringerem Stimm­anteil in den Kreis­tagen vertreten sein und ihrer Abgeordnetentätigkeit auch entsprechend nach­ge­hen kön­nen sollen.

Diese Bestimmungen in der HGO dürfen nicht durch Kreistagsgeschäftsordnungen konterkariert und klamm­heimlich unterlaufen werden. Rechtlich hat die HGO im Übrigen Vorrang vor Kreistags­ge­schäfts­ordnungen, d.h., Kreistagsgeschäftsordnungen haben sich nach der HGO zu richten. Sie dürfen ihr nicht widersprechen.

Der Vorschlag insgesamt zeigt ein erschreckend minimiertes Demokratieverständnis der Koalitions­frak­tionen von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen im Wetterauer Kreistag.

Man fragt sich, ob dies nur allein einem Regierungsopportunismus geschuldet ist, der sich über kleinere Frak­tionen ärgert, die ihre Oppositionsarbeit wahrnehmen, oder einem grundlegenden Mangel an demo­kra­tischem Grundverständnis. Denn mit der Anhebung der Mindestzahl von Abgeordneten, die den Erhalt des Fraktionsstatus garantiert, werden auch die Wähler/innen dieser Parteien quasi als weniger wichtig eingestuft; ihre Stimmen zählen offenbar nur einen Bruchteil der Wählerstimmen großer Parteien. Das aber ist grundgesetzwidrig.

Umso erstaunlicher ist dieser Vorgang, weil ausgerechnet sowohl die SPD als auch die GRÜNEN diesen Vorschlag eingebracht haben - mit der SPD also just jene Partei, die sich unter Berufung auf Willy Brandt immer wieder mit ihrem besonders ausgeprägten demokratischen Grundverständnis und ihrem Willen brü­stet, mehr Demokratie zu wagen oder wagen zu wollen. Sigmar Gabriel hat kürzlich dazu aufgerufen, ein breites Bündnis für mehr Wahlbeteiligung zu gründen. Er hätte ehrlicherweise hinzufügen müssen, dass das wenig Sinn macht, da ein Teil der gewählten Vertreter dann ohnehin in ihren Rechten beschnitten sein wür­den – z.B. im Wetteraukreis auf Antrag der SPD.

Und die Wetterauer Grünen machen mit, obwohl sie sich eigentlich als Vertreter von Basisdemokratie, von Min­derheiten, kleinerer Parteien, die sie selbst ja waren und sind, verstanden haben. Kann ihre Koa­litions­nibelungentreue so weit gehen, dass sie völlig vergessen, wer sie eigentlich sind und woraus ihr ei­ge­ner politischer Kern besteht? Sind sie politisch wirklich derart selbstvergessen oder ist es nur politische Dummheit, die hier die Feder geführt hat? Bei der FDP wundert man sich hingegen, dass sie eine Re­gelung befürwortet, mit der sie selbst ihre eigenen Rechte einschränkt, würde sie nach der Wahl über­haupt wieder in den Kreistag kommen. Wundern kann man sich darüber andererseits aber dennoch nicht, war es doch ein Vertreter der Altenstädter FDP, der sich während einer öffentlichen Gemeinde­ver­tre­ter­ver­samm­lung mit starkem Bürgerandrang heftig darüber beschwerte, dass die BürgerInnen Einfluss auf ihre ge­wähl­ten Parlamentsvertreter haben. Die Absicht der Wetterauer FDP, die demokratischen Rechte einzu­­schränken, kann da nur als konsequent erscheinen.

Wir rufen die Koalitionsfraktionen im Wetteraukreis auf, diese Änderung der Geschäftsordnung zur Einführung einer Mindestzahl von drei Kreistagsabgeordneten zu streichen. Mindestzahl für Fraktionen sollen weiterhin zwei Kreistagsabgeordnete gemäß § 26 a KTO sein.

Wenn demokratische Vertreter die Einflussmöglichkeiten politischer Konkurrenten einschränken, könnte es sein, dass dies irgendwann auch sie selbst trifft.

Dr. Werner Neumann, Dr. Angela Vogel, Altenstadt

Die Welt

Altenstadt, Donnerstag, den 06.06.2013

Istanbul auf Hessisch -

Warum auf die türkische Polizei in Istanbul schauen – Staatsbrutalität und Grundrechtsverletzungen liegen so nah, sozusagen an Main, Rhein und Spree.

Aber nicht nur die Bundeswehr hält sich lieber im Ausland auf, sondern auch die deutsche Presse und – die amtlich bestellten oder finanzierten Menschenrechtseinforderer.

Um diesem Missstand abzuhelfen, veröffentlicht A-a-d-N hier den Beitrag des vor allem als CBG-Beobachter der internationalen Aktivitäten des Bayer-Konzerns bekannt gewordenen Axel Schnura. Er schildert, was ihm und all den anderen DemonstrantInnen während der großen Demonstration von Blockupy am 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main widerfuhr.

"Blockupy Frankfurt - Getreten, geprügelt, mit Giftgas bekämpft"

 

Ein Erlebnisprotokoll

Name: Axel Köhler-Schnura

Alter: 64 Jahre

Beruf: Ökonom
Engagement: Coordination gegen BAYER-Gefahren, Stiftung ethecon, Kritische AktionärInnen, Gewerkschaft, DKP

Frankfurt, Basler Platz
Samstag 01. Juni 2013

Um10 Uhr noch recht leer, strömen bis ca. 12 Uhr zig Tausende zusammen. Wie man es von der letzten Blockupy-Großdemonstration 2012 her kennt: Bunt, laut, phantasievoll. Kinder, Jugendliche, Grauhaarige.

Von nah und fern. Sprachgewirr aus ganz Europa.

Transparente wie: "S21 - bei Brand effizienter als jedes Krematorium". Oder: "Gegen Bankenmacht und Profitgier!" Während verdi- und IG-Metall-Fahnen neben attac, Linkspartei- und anderen Fahnen gut sichtbar waren, habe ich nicht eine einzige Fahne der Grünen gesehen und auch die SPD glänzte durch Abwesenheit.

Die Medien berichteten über Blockupy am Vortag (31.05.2013). Es ging um Aktionen der "Anti-Kapitalisten", wie das Etikett lautete, das jedem, der gegen Machtmissbrauch und Verbrechen der Banken und Konzerne in Frankfurt protestierte, aufgepappt wurde.

Nachdem die Stadt Frankfurt und das Land Hessen bereits bei den vorjährigen Blockupy-Aktionen wegen ihres rüden Umgangs und ihrer mit den Grundrechten in Widerspruch stehenden Haltung zum Demonstrationsrecht aufgefallen waren, gab es im Vorfeld der diesjährigen Aktionstage ab dem ersten Tag ein zähes Ringen zwischen den VeranstalterInnen von Linkspartei, attac, verdi und anderen und den Behörden:

Das Verwaltungsgericht musste entscheiden. Und hat entschieden: Ja, es darf natürlich auch im Flughafen demonstriert werden. Ja, es darf natürlich eine Großdemonstration am Samstag an der EZB vorbei stattfinden.

Doch das scherte das Innenministerium und die Polizei einen Dreck! Offen und unverhohlen wurden die Urteile missachtet. Die Demonstrationen am Freitag im Flughafen wurden durch Polizeimacht unterbunden, in der Innenstadt gab es bei kleineren Aktionen jede Menge Polizeirepression.

Und dann kam der Samstag. Und mit ihm die zig Tausenden aus ganz Europa und ganz Deutschland, die sich auf dem Basler Platz versammelten und gemeinsam ihrem Unmut - je nach politischer Gesinnung - über Abzockerei, Umverteilung, kapitalistische Ausbeutung, Bankenrettung und Troika-Diktate zum Ausdruck bringen wollten.

Um 12 Uhr herum setzte sich der Zug in Bewegung. Nur 20 Minuten später und lediglich dreihundert Meter weiter, ging nichts mehr. Die Demonstration stand in einer öden Hochhausschlucht.

Was war passiert? Eine Armada von hochgerüsteten und vermummten Polizeikriegern hatte im ersten Teil der Demonstration den Block der Interventionistischen Linken aus dem Nichts heraus brutal überfallen und eingekesselt. Mit FreundInnen stand ich unmittelbar an der Nahtstelle. Vor mir fünf dicht gedrängte Reihen schwarzer Repressionskräfte. Dahinter der Kessel mit vielen hundert DemonstrantInnen und einem Lautsprecherwagen. Links und rechts vielgeschossige Häuserwände, davor schließlich das Ende der Demonstrationswelt in Form einer massiven Wand von furchterregend mit Helm, Schlagstöcken, Chemiesprayern, Pistolen etc. bewaffneten Hundertschaften.

In einer Art Putsch hatten Innenministerium und Polizeiführung mit einem Gewaltakt die Verfassung gebrochen, die nach Recht und Gesetz gefassten Gerichtsurteile zu Klopapier degradiert und das Grundrecht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit unter klobige Polizeikampfstiefel getreten.

Hinter uns knapp zwanzigtausend DemonstrantInnen. Die etwa zweihundert Streitkräfte, die ohne jeden Grund und ohne jede Rechtsgrundlage mit brutaler Gewalt den Kessel von den zig Tausenden der Rest-Demonstration trennen mussten, waren von ihrer Führung wissentlich in allerhöchste Gefahr gebracht worden. Eine unbedachte Reaktion in der durch Polizeigewalt aufgeheizten Stimmung, der kleinste Ärger hätte eine Katastrophe auslösen können.

Auge in Auge standen wir zwei Stunden wandelnden Kampfmaschinen gegenüber, von denen unter Helm, Schutzvisier und Sturmhaube lediglich ein Augenpaar zu sehen war. Ab und zu ein verunsichertes, hin und wieder ein hilfloses. Zumeist jedoch aggressive, hochmütige, brutale Blicke. Aber: Es geschah nichts. Alles blieb zum Zerreißen gespannt, aber friedlich.

Unterhalb der Augen mächtige Kampfmonturen. Die berüchtigt-hochgefährlichen Tonfa-Schlagstöcke und das lebensbedrohlich Chemiegas griffbereit. An den Händen die als Waffe eingestuften Quarzsandhandschuhe. An den Beinen schwere Kampfstiefel. Zusätzlich an Beinen, Armen, Oberkörper zentimeterdicke Hartplastikschienen, mit denen jeder Schlag schwere Verletzungen auslösen kann. Bürgerkriegssoldaten gegen unbedarfte Bevölkerung in T-Shirts und Freizeitkleidung.

Neben mir und hinter mir Jugendliche, aber auch zahllose Grauhaarige, manche deutlich älter als ich. Männer und Frauen. Wir hätten Eltern und auch Großeltern der vor uns stehenden Kampfmaschinen sein können.

Die Demonstration blieb besonnen. Im Kessel verweigerten die Menschen ihre Festnahme (mit Personalienfeststellung und erkennungsdienstlicher Behandlung), die Rest-Demonstration verweigerte die Trennung vom Kessel und die Umleitung auf eine andere Demo-Route. Die DemonstrantInnen ließen sich nicht spalten und beharrten auf der genehmigten Route.

Das passte nicht in den Plan der Verfassungsbrecher. Eskalation und vor allem "Straßenschlacht" waren gewünscht, um das zuvor von ihnen an die Wand gemalte Szenario zu bestätigen; um friedlich demonstrierende Menschen als "anti-kapitalistische Gewalttäter" diffamieren und verteufeln zu können; um in den Medien die Bevölkerung abzuschrecken, für ihre Rechte auf die Straße zu gehen.

Doch dann plötzlich. Die friedliche Spannung explodierte. Allerdings nicht durch Hitzköpfe in der Demo, nein durch die Staatsgewalt. Die Kampfgasflaschen wurden gezückt, die Tonfas zum Einsatz gebracht. Wahllos wurde auf Alte und Junge eingedroschen. Ich bekam - glücklicherweise nur gering - Pfefferspray ab. Den weit ausholenden Tritt mit dem Kampfstiefel sah ich kommen - allein, in dem Massentumult um mich herum gab es kein Entkommen. Durch die Kleidung hindurch bekam ich einen Stiefelabdruck auf dem Linken Oberschenkel verpasst (12 cm lang, vier cm breit). Auf Nase und Oberkörper wurde ich geschlagen. (Das ärztliche Attest zu allem steht noch aus.)

Meine PartnerInnen und FreundInnen wurden mir gewaltsam und brutal von der Seite gerissen - weg waren sie. Sie berichteten von der gleichen Gewalt, wie ich sie erlebte. Aber auch: Ein junger Polizist brach unter seinem Visier in Tränen aus - er stammelte, "das geht doch nicht, das sind doch alte Menschen". Ein anderer junger Polizist hat Christiane (meine Frau) gerettet, indem er sie hinter sich riss und so vor dem Chemiegas und den Prügeln seiner geradezu im Gewaltrausch befindlichen KollegInnen - jawohl, jede Menge Frauen waren dabei! -schützte.

Ich drängte mich aus der Kampfgaswolke und der Gewaltorgie in die Grünzone am Straßenrand. Kurz darauf tauchten wie ein Wunder meine FreundInnen auf. Auch sie von Tonfas und Kampfgas verletzt Wir drängten weiter zum Rand, dorthin, wo auch die Verwundeten sich schleppten oder geschleppt wurden. Junge und Alte. Knallrot entzündete Gesichter, verquollene Augen, Hustenkrämpfe mit Schleimauswurf, unkontrollierte spastische Zuckungen, Zittern von Kopf bis Fuß. Meine Humpelei, die Schlagstock-Prellungen meiner FreundInnen und auch unsere nur gering gereizten Augen, erschienen uns als Bagatellen im Vergleich dazu, was sich vor unseren Augen an Schmerz und Leid abspielte.

Auch dort - etwa acht Meter abseits der Straße - hochgerüstete Kampfkräfte, die auf einer Länge von etwa 150 Metern die Demonstration - wie auch auf der anderen Straßenseite - hermetisch abriegelten und niemanden hindurch ließen. Eine gigantische, am Ende noch offene Kesselbedrohung. Wohlgemerkt zusätzlich zum bereits geschlossenen. Dadurch war es den Zigtausenden u.a. nicht möglich, auszutreten, zu den von der Demoleitung bereitgestellten Dixi-Toiletten oder anderswohin, um z.B. Essen und Trinken zu besorgen, wurden sie nicht durchgelassen.

Meine FreundInnen und ich forderten angesichts der vielen Verletzten in der kleinen Grünanlage und der fehlenden medizinischen Versorgung der Reihe nach etwa ein Dutzend der RepressionssoldatInnen auf, ärztliche Hilfe zu rufen. Keinerlei Reaktion. Kollektiv und noch dazu im Amt unterlassene Hilfeleistung! Aber keine Möglichkeit zur Strafanzeige, denn alle trugen ihre Einsatznummer für uns unsichtbar auf der Rückseite ihrer Monturen. StraftäterInnen mit staatlich geschützter Anonymität.

Überhaupt die Identifikation! Ich habe bei dem Polizisten, der mich vorsätzlich verletzt hat, klar die abfällig und höhnisch blickenden Augen im zentimeterbreiten Sturmhaubenschlitz gesehen, allein die Einsatznummer war auch in diesem Fall, für mich uneinsehbar, auf seinem Rücken.

Die immer zahlreicher werdenden Verletzten mussten sich selber helfen. In solidarischem Miteinander wurden die Augen mit allen verfügbaren Trinkwasserflaschen gespült. In einem Fall konnte ich beobachten, wie eine junge Polizistin zwei ihrer eigenen Wasserflaschen an die Verletzten weiterreichte. DemonstrantInnen brachten die Opfer weiter nach hinten in sichere aber dennoch links und rechts mit Wasserwerfern und polizeilichen Streitkräften bedrohte Demo-Bereiche, wo sie von ÄrztInnen und Krankenpersonal, die sich unter den DemonstrantInnen befanden und zur Hilfe einfanden, versorgt wurden.

Und dann erneut ein Angriff ohne Vorwarnung. Hinter uns die anhaltende Prügelei der Einsatzkräfte an der Spitze des Demonstrationszuges und auf der anderen Seite der Barriere die Kampfgaswolken in den Kessel hinein. Zu unseren Füßen die Verletzten. Da wurden die Absperrgitter vor uns schlagartig auf etwa fünf Meter geöffnet, und ein frontaler Angriff auf uns, die wir Schutz suchten, geführt. Erneut keinerlei Chance zurückzuweichen oder sonst irgendwohin in Sicherheit zu kommen.

"Ich prügle dir die Birne zu Matsch" flüsterte der vor mir stehende Robo-Cop klar und deutlich vernehmbar im Adrenalin-Rausch mit gezückter Tonfa. Daneben seine KollegInnen wieder mit den Kampfgas-Geräten im Einsatz. Zu den Verletzten neue Verletzte. Ein weiteres Mal Verantwortungslosigkeit der Polizeiführung gegenüber ihren Untergebenen. Auch hier hätten die brutalen Angriffe der gerade einmal etwa zwei Dutzend in blinde Gewaltattacke geschickten Kräfte gegen Tausende in Mord- und Totschlag enden können.

Doch die Rechnung der Herrschenden ging nicht auf. Von 14 Uhr mittags bis 20 Uhr abends wurde kontinuierlich weiter geprügelt und Unmengen von Kampfgas über die DemonstrantInnen ausgesprayt. Die Flut der Verletzten riss nicht ab. Nichts konnte die Einsatzkräfte stoppen. Nicht die im Kessel befindlichen Bundestagsabgeordnete, nicht die eingekesselten Kinder. Einzeln wurden nacheinander über die vielen Stunden hinweg unter brutaler Gewaltanwendung hunderte von DemonstrantInnen im Kessel festgenommen, der Personalienfeststellung und erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen und mit Platzverweisen entlassen. Sie durften nicht mehr an der Demonstration teilnehmen und sich teilweise in ganz Frankfurt nicht mehr aufhalten

Schließlich sogar die gewaltsame Übernahme des im Kessel befindlichen Lautsprecherwagens durch ein Spezialkommando. Offenbar sollte so die Kommunikation mit der Rest-Demonstration - erneut ohne jeden Anlass und ohne jede Rechtsgrundlage - unterbunden werden.

Doch nichts, aber auch nichts!, konnte die Ruhe und Friedlichkeit der Demonstration ins Gegenteil kehren. Tausende harrten bis in die Nacht aus, bis auch der allerletzte aus dem Kessel festgenommen war. Die Blockupy-Demonstration in Frankfurt am 01. Juni 2013 ließ sich nicht spalten. Die von der Staatsgewalt in willkürlicher Repression Festgenommenen wurden zu keiner Zeit alleingelassen. Die den ganzen Tag über andauernden in brutaler Gewalt geführten Angriffe blieben ohne das gewünschte Ergebnis - niemand aus der Demonstration von zig Tausenden tappte in die gestellte Kriminalisierungsfalle.

Offener Verfassungsbruch, unverhohlen offene Degradierung der Justiz durch die Exekutive buchstäblich zu Idioten, bürgerkriegsähnliche Gewalt gegen friedliche Menschen, grundlose Beraubung der Grundrechte: Ein wahrhaft schwarzer Tag in der Geschichte der Bundesrepublik!

Das alles im Schatten der glitzernden Türme der Banken und Konzerne, vor deren Türen sozusagen. Die Herrschenden - auch in Deutschland, denn in der Türkei, in Griechenland, Italien, Spanien, Irland und anderswo zeigen sie es bereits seit langem - haben gezeigt, wozu sie bereits sind: Profit und Kapitalismus, die zusammengeplünderten Vermögen der Ultra-Reichen werden sie mit aller Gewalt - auch unter offenem Verfassungsbruch - schützen. Die auf ihren Rechten und Interessen beharrende Bevölkerung, die für die Verbesserung ihrer Lage eintretenden arbeitenden Menschen werden sie unverhohlen auch mit bürgerkriegsähnlicher Repression bekämpfen.

Dagegen steht die kraftvolle Solidarität der Tausenden in Frankfurt und der Millionen in Europa und der Milliarden in aller Welt. Noch am Nachmittag gingen in mehreren Städten Menschen mit Soli-Demonstrationen mit den Eingekesselten auf die Straße. Herausragend auch die über an Schnüren und Seilen befindlichen Körbe, die von AnwohnerInnen auf beiden Seiten des Kessels von Fenstern herab mit Wasser und Lebensmitteln zu den gefangenen Menschen herabgelassen wurden.

Frankfurt hat in aller Deutlichkeit erneut die Richtigkeit dessen bewiesen, was bereits Thomas Müntzer im 16. Jahrhundert in den Deutschen Bauernkriegen feststellte: "Die Herren machen es selber, dass ihnen der arme Mann feind wird!"

Auch mit allergrößter Gewalt und Repression wird sich der wachsende Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung nicht aus der Welt schaffen lassen. Im Jahr 1990 wurde das "Ende der Geschichte" verkündet, der Kapitalismus entfesselt und zum Heil der Menschheit erklärt. Seit Beginn der 2000er Jahre erleben wir, wie weltweit sich der Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung entwickelt, wächst und wächst. Wer kann die Demonstrationen der letzten 10 Jahre noch zählen?! Wer kann noch überblicken, wo tagtäglich neu der Widerstand aufflammt?! Die Menschen nehmen nicht hin, dass auf Kosten von Milliarden einige wenige Tausend Ultra-Reiche und deren Konzerne die Welt plündern; dass Not und Elend immer weiter um sich greifen und zugleich die Millionäre zu Milliardären werden und die verbrecherischen Konzerne und Banken mit Billionen am Leben gehalten werden. Die Welt nimmt sehr wohl zur Kenntnis, dass die Bundeskanzlerin Merkel dem verbrecherischen Abzocker Hoeneß in London - erneut unverhohlen - freundlich lächelnd die Hand schüttelte. Sie erkennt die Allianz zwischen Kapital und Politik.

Es gilt der Satz der 70er und 80er: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!

Ich schreibe und verbreite diese Zeilen, weil die herrschenden Medien die Medien der Herrschenden sind und dort das, was ich als Augenzeuge schmerzlich miterleben musste, falsch oder gar nicht berichtet werden wird. Weil der Lüge die Wahrheit entgegen gestellt werden muss.

Pfefferspray ist ein lebensgefährliches Kampfgas. Friedliche DemonstrantInnen sind keine "Gewalttäter". Die bei der Demonstration eingesetzte Polizei war eine mit gefährlicher Passiv- und Aktivbewaffnung hochgerüstete Bürgerkriegsarmee. Sie überfiel über Stunden hinweg auf befehl "von oben" immer wieder ohne jeden Anlass die friedliche Demonstration und mit ihr Zehntausende von gewaltfrei demonstrierenden BürgerInnen. Den DemonstrantInnen wurden ihre nach Verfassung und Gerichtsbeschluss zustehende Demonstration und ihre ebenfalls nach Verfassung und Gerichtsbeschluss zustehende Demonstrationsroute gewaltsam verweigert. Es gab nicht "mehrere Verletzte", sondern Hunderte von der Polizei verletzte Menschen. Innenministerium und Polizeiführung brachen ohne Skrupel und öffentlich die Verfassung und die Grundrechte. Bezeichnenderweise unmittelbar vor der Europäischen Zentralbank (EZB). Bereits vor Gericht hatten sie versucht, die Demonstrationsroute zur EZB zu unterbinden. Wie sagt die englische Vereinigung des Hosenbandordens? "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt."

Mit herzlichen Grüßen

Axel Köhler-Schnura"