16. September 2014:

Gegen antidemokratische Muskelspiele der rot-grün-gelben Koalition des Wetteraukreises protestieren Dr. Werner Neumann (BUND Altenstadt) und Dr. Angela Vogel (Altenstädter Freundeskreis für Flüchtlinge e.V.) in ihrem Offenen Brief an die Parteien des Wetteraukreises. Die Koalition wird aufgefordert, ihren unveröffentlichten Antrag an den Kreistag zurückzuziehen, der die Hürden für die Gewährung des Fraktionsstatus einer Partei/Wählergemeinschaft (unzulässig) erhöhen möchte.

Altenstadt-online dokumentiert das Schreiben.

 

Offener Brief an die rot-grün-gelbe Koalition im Wetteraukreis

 

Stellungnahme und Kommentar zur geplanten Änderung der Geschäftsordnung des Kreistags des Wetteraukreises. 

Die SPD-FDP-GRÜNEN –Koalition plant eine weitgehende Änderung der Geschäftsordnung. Neben einer Verkleinerung der Zahl der Abgeordneten soll die Regelung für Fraktionen geändert werden.

Derzeit erhalten Parteien oder Wählergruppen ohne Beschränkung der Personenzahl den Fraktionsstatus oder 5 Kreistagsabgeordnete können sich zu einer Fraktion zusammenschließen (Gesch.ordung 2007)

http://www.wetteraukreis.de/fileadmin/user_upload/media/imperia/md/content/politik/kreistag/haupt_finanz_personal_und_gleichstellungsausschuss/2012/GOKT_2007.pdf

Das soll sich nach dem Willen der rot-grün-gelben Koalition des Wetteraukreises ändern - zu Lasten der kleineren Parteien. In Zukunft müssen kleinere Parteien mindestenst drei Abgeordnete im Kreistag haben, um eine Fraktion bilden zu können. Der Zusammenschluss von mindestens fünf Abgeordneten unter­schiedlicher Parteien zu einer Fraktion wird auch nicht mehr erlaubt sein, es sei denn, jede dieser Parteien hat drei Abgeordnete in den Kreistag entsenden können.

Der Fraktionsstatus ist überaus wichtig für die parlamentarische Arbeit von Abgeordneten. Nur Parteien mit Fraktionsstatus erhalten ihre politische Parlamentsarbeit vergütet. Nur Parteien mit Fraktionsstatus dürfen ihre Abgeordneten in die Parlamentsausschüsse schicken. Nur diese sind berechtigt, sich zu Wort zu melden, Vorschläge und Anträge einzubringen. Abgeordnete ohne Fraktion sind lediglich Gäste in den Auschüssen - ohne irgendwelche Rechte, die die Abgeordneten der Parteien mit Fraktionsstatus haben. Sie dürfen nur stumm zuhören - und das war´s.

Wer weiß, dass die Abgeordneten in den Parlamentsausschüssen oft die eigentlich entscheidende polit­ische Arbeit leisten und im Kreistag selbst nur noch über die in den Ausschüssen vorbereiteten Vorschläge abgestimmt wird, der weiß, was diese Änderungsabsichten der derzeit regierenden rot-grün-gelben Koali­ti­on im Wetteraukreis tatsächlich bedeuten werden: Es soll der einzigen verbliebenen aktiven und sehr fleißigen Opposition jegliche parlamentarische Kontrolle und alle politischen Möglichkeiten zu aktiver und effektiver Mitarbeit/Gegenrede/Einflussnahme genommen werden. Sie soll offenbar zum Schweigen verurteilt werden.

Was die Kreistagskoalition hier plant, ist ein tiefer grundsätzlicher Einschnitt in die parlamentarischen Rechte der Ver­treterInnen kleinerer Wählergruppen.

Demokratie in der Wetterau ade?

Die rot-grün-gelbe Koalition scheint genau zu wissen, was ihr Antrag bedeutet und wie ihn jeder und jede BürgerIn im Wetteraukreis verstehen wird, wenn er oder sie diesen Antrag denn kennen würde. Deshalb wohl ist dieser Antrag zur Mindestabgeordnetenanzahl zur Fraktionsbildung vom 1.6.2014 im Ratsin­for­mationssystem des Wetteraukreises auch nicht aufzufinden. Der Antrag ist hier nicht hinterlegt. Den Text hält man geheim. Man gibt nur bekannt, der "Antrag" sei in den Ausschuss verwiesen worden. Das heißt, die BürgerInnen werden nicht informiert, um was es sich bei diesem "Antrag" eigentlich handelt.

Schon allein diese Vorgehensweise spricht für sich. Auch sie schränkt die demokratischen Informa­tions­rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der BürgerInnen so ein, dass sie real gar nicht mehr genutzt werden können.

Wie ist nun aber dieser auf Aushebelung demokratischer Rechte ausgelegt Antrag rechtlich und wie ist er politisch zu beurteilen?

Rechtlich beruht die Geschäftsordnung auch der Kreistagsgeschäftsordnung des Wetteraukreises auf § 26a der hessischen Kreistagsordnung sowie § 60 der Hessischen Gemeindeordnung - HGO.

Es heißt in § 26a Fraktionen-

(1) Kreistagsabgeordnete können sich zu einer Fraktion zusammenschließen. Eine Fraktion kann Kreistagsabgeordnete, die keiner Fraktion angehören, als Hospitanten aufnehmen. Das Nähere über die Bildung einer Fraktion, die Fraktionsstärke, ihre Rechte und Pflichten innerhalb des Kreistags sind in der Geschäftsordnung zu regeln. Eine Fraktion muss aus mindestens zwei Kreis­tags­ab­ge­ord­neten bestehen.

Dies bedeutet, dass logischerweise eine Fraktion = ein Zusammenschluss aus mindestens zwei Abge­ordneten ist. Frage ist, inwieweit die Geschäftsordnung, wie nun im Wetteraukreis vorgesehen, über „das Nähere“ zur „Bildung“ einer Fraktion auch die Mindestanzahl auf drei oder mehr Abgeordnete erhöhen kann. Diese Regelung der Erhöhung der Mindestanzahl bedeutet nämlich eine Einschränkung des ersten Satzes von § 26a (1) und noch mehr von § 26 a Satz 4. Hier ist klar und unmissverständlich geregelt, dass eine Fraktion aus mindestens zwei Kreistagsabgeordneten bestehen muss. Unter zwei Abgeordneten geht es also nicht. Das scheint nun den Gedanken nahe zu legen, dass man die Mindestsstärke einer Frak­tion umgekehrt höher schrauben könnte, beispielsweise - wie hier ausgeklügelt - auf drei.

Das ist jedoch ein Irrtum. Es widerspricht Satz 1 und Satz 4 , nach denen sich zwei Kreistagsabgeordnete zu einer Fraktion zusammenschließen können – beziehungsweise, und das ist der Sinn dieser rechtlichen Formulierung: sich auch zusammenschließen können müssen.

Daraus folgt: Die von SPD-FDP-GRÜNEN beabsichtigte Regelung der Geschäftsordnung der Dreier­vor­aussetzung zur Fraktionsbildung steht in klarem Widerspruch zur Hessischen Kreistagsordnung.

Politisch ist diese Regelung ohnehin abzulehnen. Sie schränkt die Möglichkeiten der parlamentarischen De­mo­kratie unnötig ein, beschränkt die Möglichkeiten der Einbringung von Anträgen und deren Behand­lung in Ausschüssen auf die größeren und großen Parteien ein.

Die beabsichtigte Regelung der Wetterauer Koalition führt also zu einer Bevorzugung großer Parteien bzw. der jeweils regierenden Koalition und, sie schafft Abgeordnete erster und zweiter Klasse. Die parla­men­tarische Arbeit, und damit grundlegend die Rechte der kleineren Parteien oder Wahlgruppen, die sich in der Opposition befinden, werden erheblich behindert, bzw. s.o., sie wird unmöglich gemacht. Zudem ist oh­nehin der personelle und finanzielle Aufwand für Parteien mit weniger Abgeordneten relativ höher als bei großen Fraktionen. Sicherlich ist es wahr, dass sich die Zahl der WählerInnen auch in der Zahl ihrer Abgeordneten ausdrückt, die dann im Kreistag vertreten sind. Das darf aber nicht dazu führen, dass ihnen aufgrund ihrer geringeren Anzahl von Abgeordneten mangels Fraktionsstatus die grund­le­genden Ab­ge­ordnetenrechte wie z.B. die aktive Vertretung in Ausschüssen, entzogen werden. Die HGO hat schließlich die 5% Klausel abgeschafft. Das drückt aus, dass auch Parteien mit geringerem Stimm­anteil in den Kreis­tagen vertreten sein und ihrer Abgeordnetentätigkeit auch entsprechend nach­ge­hen kön­nen sollen.

Diese Bestimmungen in der HGO dürfen nicht durch Kreistagsgeschäftsordnungen konterkariert und klamm­heimlich unterlaufen werden. Rechtlich hat die HGO im Übrigen Vorrang vor Kreistags­ge­schäfts­ordnungen, d.h., Kreistagsgeschäftsordnungen haben sich nach der HGO zu richten. Sie dürfen ihr nicht widersprechen.

Der Vorschlag insgesamt zeigt ein erschreckend minimiertes Demokratieverständnis der Koalitions­frak­tionen von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen im Wetterauer Kreistag.

Man fragt sich, ob dies nur allein einem Regierungsopportunismus geschuldet ist, der sich über kleinere Frak­tionen ärgert, die ihre Oppositionsarbeit wahrnehmen, oder einem grundlegenden Mangel an demo­kra­tischem Grundverständnis. Denn mit der Anhebung der Mindestzahl von Abgeordneten, die den Erhalt des Fraktionsstatus garantiert, werden auch die Wähler/innen dieser Parteien quasi als weniger wichtig eingestuft; ihre Stimmen zählen offenbar nur einen Bruchteil der Wählerstimmen großer Parteien. Das aber ist grundgesetzwidrig.

Umso erstaunlicher ist dieser Vorgang, weil ausgerechnet sowohl die SPD als auch die GRÜNEN diesen Vorschlag eingebracht haben - mit der SPD also just jene Partei, die sich unter Berufung auf Willy Brandt immer wieder mit ihrem besonders ausgeprägten demokratischen Grundverständnis und ihrem Willen brü­stet, mehr Demokratie zu wagen oder wagen zu wollen. Sigmar Gabriel hat kürzlich dazu aufgerufen, ein breites Bündnis für mehr Wahlbeteiligung zu gründen. Er hätte ehrlicherweise hinzufügen müssen, dass das wenig Sinn macht, da ein Teil der gewählten Vertreter dann ohnehin in ihren Rechten beschnitten sein wür­den – z.B. im Wetteraukreis auf Antrag der SPD.

Und die Wetterauer Grünen machen mit, obwohl sie sich eigentlich als Vertreter von Basisdemokratie, von Min­derheiten, kleinerer Parteien, die sie selbst ja waren und sind, verstanden haben. Kann ihre Koa­litions­nibelungentreue so weit gehen, dass sie völlig vergessen, wer sie eigentlich sind und woraus ihr ei­ge­ner politischer Kern besteht? Sind sie politisch wirklich derart selbstvergessen oder ist es nur politische Dummheit, die hier die Feder geführt hat? Bei der FDP wundert man sich hingegen, dass sie eine Re­gelung befürwortet, mit der sie selbst ihre eigenen Rechte einschränkt, würde sie nach der Wahl über­haupt wieder in den Kreistag kommen. Wundern kann man sich darüber andererseits aber dennoch nicht, war es doch ein Vertreter der Altenstädter FDP, der sich während einer öffentlichen Gemeinde­ver­tre­ter­ver­samm­lung mit starkem Bürgerandrang heftig darüber beschwerte, dass die BürgerInnen Einfluss auf ihre ge­wähl­ten Parlamentsvertreter haben. Die Absicht der Wetterauer FDP, die demokratischen Rechte einzu­­schränken, kann da nur als konsequent erscheinen.

Wir rufen die Koalitionsfraktionen im Wetteraukreis auf, diese Änderung der Geschäftsordnung zur Einführung einer Mindestzahl von drei Kreistagsabgeordneten zu streichen. Mindestzahl für Fraktionen sollen weiterhin zwei Kreistagsabgeordnete gemäß § 26 a KTO sein.

Wenn demokratische Vertreter die Einflussmöglichkeiten politischer Konkurrenten einschränken, könnte es sein, dass dies irgendwann auch sie selbst trifft.

Dr. Werner Neumann, Dr. Angela Vogel, Altenstadt

 

Oktober 2014:

Einigen der Kreistagsabgeordneten von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, die selbst der sog. Ampelkoalition angehören, gab das Schreiben von Dr. Neumann/Dr. Vogel politisch-demokratisch sehr zu denken.

In der entscheidenden Sitzung des Kreistages stimmten zwei von ihnen dagegen und andere enthielten sich der Stimme. Damit verhinderten sie, dass die oben beschriebenen antidemokratischen Bestrebungen der Wetterauer Koalition Rechtskraft erlangen konnten. Wir danken diesen Abgeordneten des Kreistages an dieser Stelle ausdrücklich für ihre mutigen Entscheidungen - und fühlen uns sehr erleichtert. 

 

Redaktion Altenstadt-online