Depressionen schlimmer als Arthritis oder Asthma,

das meldeten Forscher um Somnath Chatterji 2007, nachdem sie im Auftrag der WHO (Weltgesundheitsorganisation) eine Studie mit 245.000 Probanten durchgeführt hatten. Lange vor dem Freitodes des Fußballers Enke, der seine Depressionen nicht mehr ausgehalten hat, hatten sie im selben Jahr in der Wissenschaftszeitschrift "The Lancet" geschrieben:

"Depressionen beinträchtigen die Betroffenen mehr als Angina Pectoris, Arthritis, Asthma oder Diabetes. Depressiven Patienten, die zusätzlich an einer chronischen Erkrankung wie Dia­be­tes leiden, geht es besonders schlecht." Ihrem Urteil lag eine Befragung der Teil­neh­merInnen am World Health Survey zu Grunde, die aus sechzig Nationen stammten.

Sie wurden gefragt, wie es um ihre Schlafqualität, Schmerzen, Schwierigkeiten mit dem Ge­dächtnis oder ihre Konzentrationsfähigkeit stehe. Zusätzlich wollten die Forscher von den Depressiven unter den TeilnehmerInnen wissen, wie sie mit ihren alltäglichen Tätigkeiten zu Recht kämen.

Nachdem sie Faktoren wie Armut oder andere Erkrankungen mit ähnlichem Wirkspektrum als sog. Störfaktoren ausgeschlossen hatten, zeigte sich, dass Depressionen den Gesund­heits­zustand der Menschen stark wie keine andere Erkrankung verschlechterten. Depressive aber, die zusätzlich auch noch an einer oder mehreren chronischen Erkrankungen litten, kamen auf die miserabelsten Punktebewertungen.

Daraus ergab sich für Somnath Chatterji et al., dass sich die Kombination von Depression und einer oder mehreren chronischen Erkrankungen besonders fatal auswirkten. Depressionen, sagten sie, wirkten sich deutlich negativer aus, als eine oder mehrere chronische Erkran­kun­gen verschiedener Art – s.o.; dementsprechend forderte die Forschergruppe bessere Behand­lungsmöglichkeiten gegen Depressionen, weil sie auch geeignet seien, den Gesundheits­zustand der Menschen insgesamt zu verbessern.

Andere Experten wie z.B. Marcus Roberts von Mind sprang der Gruppe um Somnath Chat­terji bei. In der BBC appellierte er an die Verantwortlichen, entsprechende medizinische Ein­rich­tungen finanziell besser auszustatten und zusätzlich Gelder für Behandlungen Depressiver bereit zu stellen. Wer allerdings das britische Gesundheitssystem nach den diversen sog. Spar- und Privatisierungsrunden durch die Labor Party ebenso wie nach ihnen durch die Konser­vativen kennt, der weiß, auf welch niedrigem medizinisch-neurologischem Versor­gungs­niveau sich die Behandlung Erkrankter in Groß-Britannien nach der Jahrtausendwende be­wegt. Die Klagen Betroffener – der Kranken und der im Gesundheitswesen Beschäftigten - nahmen und nehmen bis heute kein Ende, gleichwohl:

Die Erkenntnisse und Forderungen von Somnath Chatterj verhallten nicht ungehört. Seit 2007 wurde die Forschung erheblich intensiviert und das Wissen um die Krankheit "Depression" hat sich erheblich erweitert. Neuesten Forschungen nach kann heute auch schulmedizinisch als gesichert gelten, dass Depressionen keineswegs ausschließlich psychische, sondern eben auch organische Ursachen haben – Erkenntnisse, die langsam, ganz langsam auch ins bun­des­deutsche Erkenntnis-Verwaltungs-System unseres ärztlichen Diagnosewesens Eingang finden. So z.B. am 29. Januar 2015. An diesem Tag berichtete der Medizinjournalist der Süddeut­schen Zeitung, Werner Bartens, über die neurologischen Forschungsergebnisse des kanadi­schen Ärzteteams um Elaine Setiawan und Jeffrey Meyer, Toronto, unter dem Titel

"Entzündungen im Gehirn können Depressionen verursachen."

Es sind Erkenntnisse, die das arbeits- und umweltmedizinischen Wissen hier zu Lande bestä­tigen, aber um sehr wichtige Detailnachweise ergänzen. Wie bekannt, sind toxische Enzepha­lo­pa­tien und Polyneuropathien, also Schäden des Zentralen und peripheren Nervensystems (ZNS und PNS), verursacht durch organische Lösemittel oder deren Gemische, unter der Zif­fer 1317 in der Berufskrankheiten-Verordnung aufgeführt und entschädigungsfähig.

Depres­sio­nen gehören ausdrücklich dazu. Sie sind u.U. Ausdruck von bzw. Frühwarn­anzeichen für ent­sprechende Cognitionsschäden im Zentralen Nervensystem im Hirn (= En­ze­phalopathien),

Diese werden, te­legrammartig ausgedrückt, durch Toxine (giftige Stoffe) verursacht wie es organische Lösemittel (das sind nur z.B. Benzol, Toluol, Styrol und alle halogenierten Koh­lenwasserstoffe bzw. Substanzen, die Halogenierten/Chlorierten enthalten und aus den Aus­puffen unserer PKW (PAK) strömen, in unseren Textilien und unseren Schuhen sind oder die die meisten Pestizide spritzfertig machen).

Diese Toxine überwinden die Blut-Hirn-Schran­ke und verursachen in verschiedenen Hirn­arealen Entzündun­gen, in deren Folge Nervenzellen schrumpfen und untergehen.

Der Nachweis von Entzündungen erfolgte bis jetzt aber nur indirekt, z.B. durch die dia­gnostische Funktionsprüfung der Blut-Hirn-Schranke mittels des Parameters S 100. Doch jetzt ist es dem kanadischen Ärzteteam offenbar gelungen, Entzündungen im Hirn Depres­siver direkt nachzuweisen[1] - und das ist ein wirklich beachtlicher Fortschritt.

Da Entzündungen immer auch Abwehrreaktionen sind, vermutete das kanadische Team denn auch, dass es diese "chronischen Abwehrreaktionen" sein könnten, die "erklär(t)en", "warum Antidepressiva häufig nicht wirken", sondern, möchte ich hinzufügen, die depressiven Episo­den sogar eher noch und u.U. verstärken. Warum bestimmte Menschen schlimme Erfah­rungen oder Schicksalsschläge anscheinend munter ´wegstecken´ können, andere hingegen chronisch depressiv werden, gab bislang viel Anlass zu Spekulationen und Gemunkel von Mensch zu Mensch über einen anderen Menschen und dessen offensichtlich defizitäre Verarbeitungsfähigkeiten.

Nicht zuletzt das führte zum Tabu "Depression" – jeder und jede fürchtete eben diese üble Nachrede und die damit verbundene soziale Ächtung.

Damit dürfte es nun aber vorbei sei, vorausgesetzt, die mächtigen Pharmariesen reden ´Neuro­logens´ hier zu Lande nicht erfolgreich ein, das ganze Entzündungsgerede bringe thera­peu­tisch nichts. Es verunsichere nur die PatientInnen. Sie sollten schon aus arzthaftungs­recht­lichen Gründen bei ihrer bisherigen Verschreibungspraxis bleiben – wenn die Antidepressiva nicht wirkten, seien sie jedenfalls, die Neurologen, auf der sicheren Seite. – So oder so ähnlich.          

Wie ist das Team um Elaine Setiawan und Jeffrey Meyer nun aber vorgegangen, um die inflammatorische Rolle/Funktion des von ihnen ins Auge gefasste Markerprotein zu erfor­schen?

Die Probanten mit schwerer Depression wurden mittels des modernsten der Bild ge­ben­den Verfahren, der PET, d.i. die Positronen-Emissions-Tomographie, untersucht.

SZ-Medizinjournalist Werner Bartens erklärte die Möglichkeiten, die das PET bietet und was das kanadische Forscherteam damit aufzudecken vermochte wie folgt:

"Mit der Schnittbildmethode des PET können Stoffwechselveränderungen und krankhafte Vorgänge sichtbar gemacht werden. Im Gehirn der Depressiven entdeckten die Forscher, dass die Immunzellen der Mikroglia entzündlich aktiviert waren. Dieses Gewebe befindet sich zwischen den Nervenzellen und übernimmt Abwehrfunktionen. Zudem unterstützt es Repa­raturvorgänge nach Verletzungen. In der aktuellen Studie waren die Entzündungswerte in der Mikroglia um 30 Prozent im Vergleich zu den Gesunden erhöht."

Bartens zitierte Jeffrey Meyer, der stolz berichtete: "Wir können direkt beweisen, dass es während einer Depression zu Entzündungen im Hirn kommt. (..) Zuvor wurden in Studien stets nur indirekte Hinweise gefunden wie erhöhte Entzündungsmarker im Blut" und: Umso stär­ker die Mikroglia entzündlich verändert gewesen sei, umso stärker seien die Depres­sions­symp­tome der PatientInnen ausgeprägt gewesen.

Tatsächlich werden chronische Entzündungen als Auslöser für zahlreiche Leiden diskutiert, z.B. auch für die gefürchtete Arteriosklerose mit ihren so oft so dramatischen Folgeschäden (was die Cholesterinstory endlich auch und definitiv als Pharmasprech entlarvte!). Man weiß auch schon lange, dass erhöhte Entzündungswerte mit gedrückter Stimmung, Antriebsmangel, Appetitverlust und anderen Anzeichen einhergehen, wie sie eben auch für Depressionen ty­pisch sind. Dass die Ursachenfolge auch umgekehrt gedacht werden kann und Depressionen selbst keine Ursache, sondern Folge organischer Ursachen sein können, das nachgewiesen zu haben, das dürfte ein bleibendes Verdienst der kanadischen Forschertruppe sein.

Was aber verursacht diese, ja nun mutmaßlich sehr viel häufigeren Entzündungen im Gehirn?                                                 

Diese sehr wichtige Frage hat das Forscherteam leider nicht gestellt. Doch ganz ohne Wissen und sichere Erkenntnisse sind wir da nicht. Ich habe bereits auf einige der in der Berufs­krankheitenliste genannten inflammatorisch wirkenden Toxine hingewiesen. Als neurologisch bedeutsame Toxine sind schon lange Metalle wie Blei, Quecksilber, Arsen, Mangan und sehr viele Chemikalien bekannt. Es dürfte sich deshalb für viele Depressive und deren ÄrztInnen lohnen, sie mal anzuschauen und aufmerksam nachzulesen, wie die jüngeren unter den ein­zel­nen Entschädigungspositionen medizinisch-toxikologisch bzw. epidemio­logisch begründet sind. Aber auch für die Alteren der BK-Ziffern der Berufskrankheitenliste hat das Arbeitsministerium so eine Art Steckbrief auf der jeweiligen Basis der zum Ausgabejahr von den Arbeitgebern und gelben Gewerk­schaften (Schmutzzulage muss reichen!) ak­zep­tierten Erkenntnisse herausgegeben.

Die wohl meisten der verzeichneten Stoffe und Stoffgruppen, und das ist die damit ver­bundene schlechte Nachricht, finden sich allerdings nicht nur an bestimmten Arbeits­plät­zen, sondern - heute oft sogar vermehrt - in vielen Produkten des alltäglichen Bedarfs, in unserer näheren und weiteren Umwelt verborgen.

So unangenehm es auch immer ist, es könnte zumindest schon mal einiges erklären und es u.U. ermöglichen, die sie enthaltenden Produkte, Textilien, Betten, Lebens­mittel, Wohnungen, Wohnungseinrichtungsgegenstände, Häuser, Fahrzeuge und/oder Gegen­den zu verändern oder ganz zu meiden. Zu denken ist aber auch an Medikamente (Asthmamittel!) und Kosmetika, die z.B. Aluminium (ohne Schutzschicht wie das Alu in Tiernahrungstöpfchen oder Ver­packungs­blister) ent­halten. Auch da könnte sich Aufmerksamkeit und weitere Aufklärung der Sachverhalte sehr, sehr lohnen.

Für viele, viele der von Depressionen geplagten AltenstädterInnen dürfte jetzt, im März und im April, dann im Juni zur Zünslerzeit wieder, etwas anderes teils erheblich depressionsverstärkend aus­wir­ken:

Gemeint ist damit das Spritzen der Felder und Gärten – und seien sie noch so klein (Im Märzen der Bauer die Spritze anspannt und dann vergisst, was er getan …), aber auch das Düngen der Wiesen. Wie wir BürgerInnen diesen inflammatorisch wirkenden Pestizidfahnen, die durch unser Städtchen ziehen und in alle Fenster hinein, ausweichen könnten – es ist uns ein Rätsel.

Es sind gerade die Pestizide, die das Landleben von Jahr zu Jahr riskanter machen - nicht nur für Depressive, sondern für alle, die es vielleicht ja noch nicht sind.

Dr. Agnela Vogel,                                                                                                                                                                           

März 2015    



[1] vgl unter: Jama Psychiatry (online), March 2015, Vol 72, No. 3 Titel der Forschungsarbeit: "Role of Translocator Protein Density, a Marker of Neuroinflammation, in the Brain During Major Depressive Epi­sodes". AutorInnen waren: Elaine Setiawan, PhD; Alan A. Wilson, PhD; Ro­mi­na Mizrahi, MD, PhD; Pablo M. Rusjan, PhD; Laura Miler, HBSc; Grazy­na Raj­kows­ka, PhD; Ivon­ne Suridjan, HBSc; James L. Kennedy, MD; P. Vivien Rekkas, PhD; Sylva­in Houle, MD, PhD; Jeffrey H. Meyer, MD, PhD, FRCPC JAMA Psychiatry. 2015;­72(3):268-275. doi:10.1001/jamapsychiatry.2014.2427.)

bbbbbbbbbbbbbbbbbbbb