Schule und Lernen

Informationen des "Altenstädter Freundeskreises für

Flüchtlinge" zum

 

NACHTEILSAUSGLEICH

 

für nicht

deutschsprachige SchülerInnen 

 

"Rhena (Name geändert) war noch keine zehn Jahre alt, als ihre Familie nach Deutschland flüchtete. Rhena sprach kein Wort Deutsch, lernte aber dank Förderunterricht in der Grundschule die für sie zweite Fremdsprache schon ganz gut.

Schwieriger wurde es erst in der fünften Klasse. In Biologie und Gesellschaftslehre verstand sie wenig bis nichts. In Mathe war sie gut. Aber alle Aufgaben mit komplizierten deutschen Erläuterungen blieben ´böhmische Dörfer´ für sie.

In "Deutsch" kam sie fast gar nicht mehr mit. Wenn sie versuchte, den Sinn der Worte zu verstehen, haperte es bei Rechtschreibung und Grammatik. Achtete sie aber darauf, konnte sie dem Inhalt nicht mehr folgen.

Noch schwerer aber wog: Obgleich sie erst seit zwei Jahren deutsch lernte, wurde sie wie ihre MitschülerInnen benotet, die in Deutschland aufgewachsen waren und seit fünf Jahren Deutschunterricht hatten.

Und so kam es, wie es kommen musste: Rhena musste fürchten, nicht versetzt zu werden. Ihre Angst vor der Schule wuchs und sie empfand so etwas wie Schuld.

Es war ihr schon Aufnahmelager in Gießen gesagt worden: Nur wenn du in der Schule gute Leistungen bringst, darfst du mit deiner Familie zumindest so lange hier bleiben bis du mit der Schule fertig bist.

So stehe es im Gesetz.

Das war zwar etwas daneben, aber eben auch nicht ganz falsch.

"Wie Rhena geht es vielen Flüchtlingskindern ab der fünften Klasse", sagt Dr. Angela Vogel vom "Altenstädter Freundeskreis für Flüchtlinge".

Dabei habe die Hessische Landesregierung das Kinder wie LehrerInnen gleichermaßen niederdrückende Problem längst erkannt.

Mit dem Nachteilausgleich für SchülerInnen "nichtdeutscher Herkunftssprache" habe sie deshalb bereits 2011 versucht, gewisse Abhilfen im siebten Teil der "Verordnung (VO) zur Gestaltung des Schulverhältnisses" für die Primarstufe bis einschließlich Sekundarstufe I zu schaffen.

Doch hätten die meisten Schulleitungen und Lehrerkollegien in Hessen diesen Teil 7 bisher wenig beachtet. Zwar gewährten sie nachmittags Deutschförderunterricht und stellten manchmal auch Intensivkurse zusammen. Die weiteren Hilfsinstrumente für den laufenden Unterricht und den Perspektivwechsel bei der Benotung aber blieb den meisten Lehrerkollegien unbekannt.

Nach der VO gehört dazu, den SchülerInnen nichtdeutscher Herkunftssprache bei schriftlichen Arbeiten und Lernstandsüberprüfungen z.B.

1.) mehr Zeit als den anderen zu gewähren,

2.) Wörterbücher, spezielle Computer- oder Audiohilfen bereit zu stellen oder wenigstens zuzulassen,

3.) die Aufgabenstellungen zu differenzieren,

4.) eine mündliche statt eine schriftliche Prüfung durchzuführen wie z.B. die Schülerin oder den Schüler einen Aufsatz auf Band sprechen zu lassen,

5.) individuelle personelle Unterstützung zu geben oder, im laufenden Unterricht,

6.) die Hausaufgaben individuell zu stellen und andere pädagogische Hilfen zu ersinnen.

Nicht weniger wichtig sei es, den Perspektivwechsel bei der Benotung zu vollziehen, so Frau Vogel, auch wenn er zunächst ein gewisses Umdenken von den LehrerInnen verlange.

Nach der VO müssen die LehrerInnen in den deutsch basierten Fächern nicht nach dem üblichen Maßstab "Erreichen der ministeriell vorgegebenen Lernziele" benoten.

Für die Note zähle hier vielmehr, was die nicht deutschsprachigen SchülerInnen im Zuge ihrer sprachlichen Fortschritte jeweils dazu gelernt haben – oder wie es in der VO heißt:

"Die Benotung ist eine pädagogische Entscheidung, die die individuellen Lernfortschritte vor dem Hintergrund des jeweiligen Standes des Erwerbs der deutschen Sprache bewertet".

"Als eine der ersten Schulen in der Wetterau hat die Altenstädter Limes-Schule versucht, den Nachteilsausgleich zu erproben – nach längeren Verhandlungen mit mir und nachweislich mit erfreulichem Erfolg", so Frau Vogel:

"Rhena z.B. wurde versetzt. Sie lernt gut und geht jetzt auch wieder sehr gerne zur Schule."

Es sei nun aber "höchste Eisenbahn, dass auch die anderen Wetterauer Schulen mit Sekundarstufe 1 ihre Lehrerkollegien im Sinne des geltenden Rechts" schulten.

Immerhin winke auch diesen LehrerInnen und Schulen die schöne Belohnung, weniger Schulversagen im Kreis der SchülerInnen mit Deutsch als erster (oder zweiter) Fremdsprache zu produzieren - was ohne den Nachteilsausgleich sozusagen vorprogrammiert war/ist.

"Ich kann mir keine Lehrerin und keinen Lehrer vorstellen", so Frau Vogel optimistisch, "die sich darüber nicht freuen und ihren Beruf umso motivierter ausüben würden."